Kälbertransporte: Kuhhandel über EU-Grenzen hinweg
Veröffentlicht im März 2020 (Aktualisiert im Februar 2023)
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Irgendetwas stimmt an der Rechnung nicht. Das ist der erste Gedanke, der beim Blick auf die Import- und Exportzahlen von Kälbern und Kalbfleisch in Österreich kommt. Im Jahr 2022 importierte Österreich
beispielsweise mehr als doppelt so viel Kalbfleisch wie österreichische Kälber exportiert wurden. In Zahlen sind das ungefähr 80.500 Kälber, die in Form von Kalbfleisch importiert und circa 37.600 Kälber, die lebend aus dem Land exportiert wurden. Mit Kälbern sind dabei Rinder bis zu sechs Monaten gemeint. Angesichts dieser Zahlen stellt sich die Frage, warum wir in Österreich unsere Kälber nicht einfach im Land behalten und für die Selbstversorgung verwenden. An der Rechnung gibt es jedoch einen Haken. So ist das importierte Kalbfleisch billiger und entspricht darüber hinaus genauer den Wünschen der Kundinnen und Kunden als das Kalbfleisch aus Österreich.
Kälbertausch in Europa
Wer in österreichischen Restaurants ein Kalbsschnitzel isst, beißt selten auf ein Stück Österreich. Knapp jedes dritte Kalb wird in Europa in den Niederlanden gemästet und geschlachtet und so landet dieses Fleisch auch in Österreich auf den Tellern. Grund dafür ist unter anderem der gute Preis: Das Kalbschnitzelfleisch aus den Niederlanden kostet meist im Einkauf deutlich weniger als sein österreichisches Pendant. Es wird daher im Einkauf von Gastronomie-Betrieben bevorzugt. Das Fleisch der Kälber ist zudem weißer als das der heimischen Tiere und lässt sich
daher besser verkaufen. Die Farbe spielt für viele Konsumentinnen nämlich eine entscheidende Rolle: Ist das Fleisch weiß, wird es als besonders hochwertig angesehen und unterscheidet sich deutlich vom roten Rindfleisch. Dabei sollte Kalbfleisch bei artgerechter Haltung der Tiere rosa sein. Eine weiße Färbung deutet auf Mangelernährung, speziell Eisenmangel, der Kälber hin.
Artgerechte Fütterung der Kälber bedeutet, dass diese ab der zweiten Lebenswoche zusätzlich zur Milch auch Raufutter zu fressen bekommen. Mit Raufutter ist dabei zum Beispiel Heu oder Gras gemeint. Dieses brauchen sie vor allem, um den Pansenmagen, den größten Vormagen der Kuh, auszubilden. Der Nachteil für den Markt: Das Fleisch färbt sich rosa. In den Niederlanden wird daher vor allem ein sogenannter Milchaustauscher gemeinsam mit einem Stroh-Mais-Cob-Mix gefüttert, welcher sehr eisenarm ist. Diese eisenarme Fütterung gepaart mit einem zu hohen Einsatz von Milchaustauscher oder Milch führt häufig zu schmerzhaften Entzündungserscheinungen. Das Resultat des Fleisches passt jedoch für den Markt. Die Mangelernährung des Kalbs und die damit einhergehenden Schmerzen sind nur noch an der hellen Farbe des Fleisches zu erkennen. Oft wird auch das Fleisch von bis zu acht Monate alten Kälbern als Kalbfleisch vermarktet. Dies deutet auf einen langen Zeitraum der Mangelernährung hin. In Österreich sieht die Lage anders aus: Hier füttert man die Kälber zusätzlich zu Milch oder Milchaustauschern mit Heu und etwas Kraftfutter, was ihr Fleisch rosa färbt. Auf den Geschmack hat die Farbe des Fleisches keinen Auswirkungen. Doch hat sie Auswirkungen auf den Preis, was die Kälbermast in Österreich zu einem wenig lukrativen Geschäft macht. So werden heimische Kälber vielfach in Staaten wie Spanien und Italien transportiert, wo sie gemästet und manchmal in Drittstaaten transportiert werden. Ein „Kuhhandel“ entsteht unter den Staaten, die die Kälber teils lebend, teils in Form von Kalbfleisch über die Grenzen hinweg transportieren.
Ein Blick auf die Import- und Exportzahlen im zeitlichen Verlauf zeigt, dass die Schere zwischen Import von Kalbfleisch und Export von Kälbern in Österreich tendenziell immer weiter auseinandergeht.
Die gesetzliche Lage
Wie lange und in welchem Rahmen Kälber transportiert werden dürfen, regelt zum einen die Tiertransportverordnung der EU und zum anderen diejenige aus Österreich. Gleich vorab: Die Beförderung bezieht sich auf die gesamte Transportdauer inklusive Be- und Entladung der Tiere. Die Beförderungsdauer beginnt also mit dem Zeitpunkt, an dem das erste Tier das Transportmittel betritt und endet dann, wenn das letzte Tier am Bestimmungsort entladen ist.
Laut der EU-Tiertransportverordnung (EG) 1/2005 dürfen auf Langstreckentransporten gesunde und mindestens 14 Tage alte Kälber befördert werden, wenn folgende Rahmenbedingungen eingehalten werden: Nach maximal neun Stunden müssen Kälber eine mindestens einstündige Ruhepause erhalten, in der sie getränkt und „nötigenfalls gefüttert“ werden. Nach dieser Pause sind weitere neun Stunden Fahrt möglich. Danach müssen die Kälber entladen, gefüttert und getränkt werden. Bis zum nächsten Transport ist eine Pause von mindestens 24 Stunden vorgeschrieben. Nach dieser Pause dürfen Kälber nochmals bis zu 19 Stunden transportiert werden.
Während laut dem EU-Gesetz die Kälber mehrmals, nach der jeweiligen 24-stündigen Pause, für insgesamt 19 Stunden transportiert werden dürfen, ist dies in Österreich verboten. Hierzulande gilt: Eine zweite Fahrt von 19 Stunden ist nur dann erlaubt, wenn der erste Transport vor der Pause kürzer als acht Stunden war. Zudem dürfen in Österreich die Tiere nach der Tiertransportverordnung frühestens im Alter von drei Wochen transportiert werden. Eine Ausnahme gilt bei einem innerbetrieblichen oder einmaligen inländischen Transport: Kälber, die noch nicht drei Wochen alt sind, dürfen innerbetrieblich oder zur Alm beziehungsweise Weide transportiert werden. Ebenso dürfen sie einmalig zwischen zwei Betrieben – entweder innerhalb eines Bundeslandes oder außerhalb bis maximal 100 Kilometer – transportiert werden.
Ab 1.1.2025 ist in Österreich außerdem die Transportfähigkeit von Kälbern bei einem Alter von drei bis vier Wochen nur dann gegeben, wenn eine tierärztliche Bestandsbetreuung eine gute Kälbergesundheit diagnostiziert.
Ob diese gesetzlichen Rahmenbedingungen ausreichend sind, stellen einige Tierschutzorganisationen infrage. Sie betonen, dass die erlaubte Transportdauer von zweimal neun Stunden für die oft nur zwei- bis dreiwöchigen Kälber generell unzumutbar sei.
Männliche Kälber, die „Achillesferse“ der Milchproduktion
Ein Zuviel an Kälbern ist kein neues Phänomen in Österreich, sondern eine Entwicklung aufgrund der Milchwirtschaft. Damit Kühe Milch geben, müssen sie ein Kalb gebären. In Österreich bekommt eine Milchkuh im Schnitt drei bis vier Kälber während ihrer gesamten Lebensdauer. Ist das geborene Kalb männlich, ist es für die Milchbetriebe ökonomisch schlecht verwertbar. Aus diesem Grund wurde zwischen 1994 und 2000 von der EU für einige Staaten eine Prämie für Betriebe eingeführt, die ihre Kälber bis zu einem Alter von 20 Tagen töteten. Damals lag diese Prämie zwischen 1600 und 2000 Schilling, umgerechnet also etwa 120 bis 150 Euro. So sollte verhindert werden, dass sich der Rindfleischmarkt überhitzt und die Preise ins Bodenlose fallen. Unter Tierschützerinnen und Tierschützern wurde diese Prämie als „Herodes-Prämie“ bezeichnet. Diese Bezeichnung geht auf eine biblische Erzählung von Herodes zurück, der neugeborene Kinder aus Furcht vor dem Jesuskind töten ließ. Heute werden die jungen Stiere meist an Mastbetriebe weiterverkauft. Wir von Land schafft Leben haben den Kälbermäster Thomas Isser in Tirol besucht, um Aufschluss über die Situation der Milchbetriebe zu bekommen.
Zu Besuch beim Tiroler Kälbermäster Thomas Isser
Thomas Isser ist Vollerwerbsbauer im kleinen Weiler Mühlbachl bei Matrei am Brenner. Er hält 17 Kühe der Rasse Tiroler Grauvieh, deren Milch den eigenen Kälbern zugutekommt. Die Kühe geben meist so viel Milch, dass noch Kälber von Partnerbetrieben zugekauft werden müssen. Er kauft sie direkt von drei bis vier Milchbauern aus der näheren Umgebung oder über den Tiroler Zuchtviehverband. Die Kälber bleiben ein paar Monate in seinem Betrieb zur Mast und werden schließlich zu Kalbfleisch verarbeitet. Vorher werden sie artgerecht gefüttert. „Sie bekommen Milch, echte Milch“ betont Thomas. In Österreich sei diese Art der Aufzucht nämlich eine Rarität. Häufiger werde ein Milchaustauscher, also ein Milchtrockenpulver eingesetzt. In Tirol setze man in der Hälfte der Kälbermast noch auf echte Milch, obwohl das eindeutig kostenintensiver sei. Zusätzlich zur Milch bekommt das Kalb Heu von Anfang an und ein Schäufelchen spezielles Getreide. Diese teure Form der Mast gibt es eigentlich nirgendwo mehr sonst in der EU, meint Thomas. Mit vier bis fünf Monaten gehen seine Kälber bereits zum Schlachthof nach St. Johann in Tirol. Sie müssen so jung sein, damit das Fleisch am Ende nicht zu rosa und damit dem Rindfleisch zu ähnlich wird. Kalbfleisch kostet nämlich etwa das doppelte und keine Kundin und kein Kunde wäre bereit, so viel für beinah rotes Kalbfleisch auszugeben. Was das weiße Fleisch der bis zu acht Monate alten Kälber aus den Niederlanden oder auch Italien betrifft, zeigt sich Thomas skeptisch. Wie das in Staaten wie in Italien und den Niederlanden geht, sei für ihn nicht verständlich.
Tiertransporte als Grund für Kälbermast in Österreich
Auch die Tiertransporte seien für ihn und einige seiner Kollegen ein Grund gewesen, Kälbermäster in Österreich zu werden. Ein Kollege im Tiroler Außerfern habe zum Beispiel ein großes finanzielles Risiko in Kauf genommen, um seine Kälbermast umzusetzen. Auch das nötige Knowhow habe er sich für seine erfolgreiche Kälbermast erst erarbeiten müssen. Kälber seien nämlich sehr sensibel und es verlange einiges an Wissen und Gespür im Umgang mit ihnen.
Thomas hofft, dass die derzeitige Diskussion rund um Kälbertransporte auch etwas Gutes habe. Vielleicht wecken die Bilder einige Verantwortliche auf. Für Thomas ist einer dieser Verantwortlichen der Tourismus. Es werde viel zu viel nur auf den Preis geachtet. Gerade den Tourismus in Tirol spricht Thomas hier an. Es seien die Kühe der Tiroler Bauernbetriebe, die dafür sorgen, dass die Wiesen so schön seien und die Gäste in Scharen dorthin auf Urlaub fahren. Trotzdem lande immer wieder Fleisch aus anderen Staaten auf den Tellern in den Gastronomie-Betrieben.
Nicht jedes österreichische Kalb landet im Export
Nicht alle österreichischen Kälber werden ins Ausland transportiert oder für die Mast in Österreich verwendet. Die folgende Grafik zeigt den Weg der Tiere nach der Geburt.
Im ersten Fall auf der Grafik (von links) ist das Kalb weiblich. Es kann also zur Milchproduktion im Betrieb bleiben oder wird in anderen heimischen Betrieben zur Milchproduktion weiterverkauft. Auch das zweite Kalb ist weiblich, nimmt als Zuchtkalbin aber einen anderen Weg. Das Kalb kommt als trächtiges Jungrind ins Ausland. Dort soll es als Milchkuh dem Aufbau einer Milchproduktion dienen. Auch wenige männliche Kälber werden für die Zucht verwendet, sind aufgrund der geringen Anzahl jedoch nicht in der Grafik aufgezeigt. Das dritte Kalb ist männlich und wird als Mastkalb – wie im Betrieb von Thomas Isser – oder als Maststier in Österreich gehalten. Wird es für die Kalbfleischproduktion genutzt, wird es im Alter von maximal sechs Monaten geschlachtet. Als Maststier lebt das Tier eineinhalb bis zwei Jahre und wird dann geschlachtet. Auch hier gibt es Ausnahmen von Mastkalbinnen, also weiblichen Kälbern, die für die Mast genutzt werden. Beim letzten Kalb in der Grafik (ganz rechts) handelt es sich um ein Mastkalb, das nach Spanien oder Italien in spezialisierte Mastbetriebe transportiert wird. Es steht symbolisch für die Kälber, die von Österreich den Weg über die Grenze hinweg, zum Teil bis in den Libanon, genommen haben.
Ein Verbot allein reicht nicht
Die Stimmen für ein totales Verbot der Schlachttransporte werden lauter. Doch müsste das Verbot in der gesamten EU umgesetzt werden. Denn Kälber aus Österreich direkt in Drittstaaten zur Schlachtung zu transportieren ist aktuell ohnehin nicht zulässig. Nur durch ein EU-weites Verbot kann verhindert werden, dass Kälber weiterhin zuerst in andere EU-Staaten und dann weiter zur Schlachtung in Drittstaaten verkauft werden. Durch das Verbot allein wäre aber das Problem der hohen Anzahl der Kälber in Österreich nicht gelöst. Besser wäre es, die Gesellschaft zusätzlich darüber aufzuklären, dass eine rosa Farbe des Kalbfleisches für mehr Tierwohl in puncto Ernährung steht und sich geschmacklich nicht vom hellen Kalbfleisch unterscheidet. Eine klare Kommunikation ist dafür notwendig und die Bereitschaft der Konsumentinnen und Konsumenten etwas mehr für das Kalbschnitzel aus Österreich zu zahlen.
Recherche: Carina Planckh, Peter Fuchs; Redaktion: Marlene Klotz