ANUGA – Die Welt der Lebensmittel zu Gast in Köln
15.10.2019 / Lebensraum & Nachhaltigkeit, Essen & bewusster Konsum
Messen machen müde. Das gilt allgemein. Und das gilt ganz besonders für die weltgrößte Fachmesse für Lebensmittel, die ANUGA in Köln. Eine kleine Land schafft Leben Delegation wirft sich in den Messe-Trubel, saugt Eindrücke aus aller Welt auf, bestaunt Neuheiten, führt hoch interessante Gespräche – und: isst schlecht und sauteuer …
Beginnen wir beim Essen dort, dann hab ich das hinter mir. Eine einzige teure Katastrophe! Hannes würgt sein super trockenes, geschmackloses Schnitzel ebenso lustlos runter wie ich meinen nicht minder totgeschmorten Rindsbraten. Unsere mitgereisten Damen Maria, Carina und Julia sind noch übler dran und geben nach minutenlangem Herumgestochere in klebrigen, undefinierbaren Breien und Fertigsalatmischungen sozusagen die Gabel ab. Kostenpunkt jeweils unverschämt. Eine echte Enttäuschung und das ausgerechnet auf einer Lebensmittelmesse! Vielleicht sind wir ja einfach nur verwöhnt? Dieser Gedanke beschleicht mich dann immer wieder mal. Am stärksten in der ausgiebigen USA-Abteilung…
Unser Rundgang beginnt nicht absichtlich sondern zufällig in der Bio-Abteilung. Wir folgen ausgehend vom Parkdeck einfach einem Notausgang in die Gegenrichtung und tauchen so ins Messegeschehen ein. Überblick verschaffen heißt es jetzt, auf ein paar Schwerpunktthemen einigen und losziehen. Überall locken kleine Kostproben, mit denen die einzelnen Aussteller unser Interesse auf sich ziehen wollen.
Die Bio-Botschaft ist klar...
Iss Insekten – der Umwelt zuliebe!?
Julia und ich kosten mal eben Proteinriegel auf Insektenbasis. Schmecken wie Proteinriegel. Die zu Mehl vermahlenen Käferchen wurden zuvor im großen Stil in einem dänischen Insekten-Stall mit allerlei organischem Abfall gemästet. Alles super sustainable, also nachhaltig, erklärt uns die holländische Forschungsleiterin.
Julia in dem Moment, wo die Neugier über den inneren Widerstand siegt...
600 Käfer packen sie in einen Riegel. Die meisten Vegetarier würden damit ganz gut zu Recht kommen, und dieses tierische Protein als willkommene Alternative zu Fleisch ansehen. Veganer allerdings überspringen die Hürde von 600 getöteten Lebewesen nicht… Mir fällt auf, dass den Riegeln das Bio-Siegel fehlt, obwohl wir in der Bio-Abteilung sind. Ja, das ärgert sie selbst, sagt die freundliche Holländerin. Obwohl die Tierchen nur Bio-Abfall schlemmern, gibt’s kein Biosiegel, weil Dinge wie Besatzdichten für Insekten in der Bio-Verordnung nicht geregelt sind. Aber die meisten ihre Kunden interessiere das ohnehin nicht wirklich. Sie ist sich jedenfalls sicher, dass Insekten eine der großen zukünftigen Ernährungsfragen für uns Menschen lösen werden.
600 Käfer packen sie in einen Riegel
„Fleisch oder nicht Fleisch – das ist hier die Frage“…
… dieser geradezu klassische Gewissenskonflikt inszeniert sich hier auf der ANUGA insgesamt ganz auffällig. Die meisten Fleischalternativen, die hier in Form von Burger, Würstchen, „Chicken“ Nuggets und Döner von diversen Labels angeboten werden, basieren auf Erbsenproteinen, wie wir feststellen und nicht auf Soja. Interessant. Soja hat kein gutes Image.
Erbsenproteine statt Soja als Basis für "Vleisch"
Funktioniert nur auf Englisch - dieser Slogan...
Ein belgischer Anbieter verrät mir, dass es weltweit genau zwei riesige Labore gibt, die im großen Stil Erbsenproteine so aussehen und schmecken lassen sollen wie Fleisch. Der Geschmack komme aus rein natürlich-pflanzlicher Quelle, keine künstlichen Geschmacksverstärker, versichert er. Was genau? Das sei Betriebsgeheimnis. Verstehe. Und die Erbsen selbst? Na, die kämen in seinem Fall aus Belgien und Frankreich – also aus recht regionalem Anbau, da eine der beiden großen Anlagen weltweit in Belgien steht. Die zweite in Kanada.
Bunte Welt des Fleischersatzes
Wir alle kosten mehrere angebotene pflanzliche Fleischalternativen und unser Urteil fällt unterschiedlich aus. Schlecht schmeckt das Zeug nicht, sage ich mal salopp, auch wenn es nicht wie Fleisch schmeckt. Wobei ich zugebe, dass mich zumindest die geschmackliche Qualität positiv überrascht. Das immense Plus an Nachhaltigkeit, womit alle Anbieter ihre Produkte bewerben, bräuchte eingehendere Recherche. Die spar ich mir für demnächst auf.
Echtes Fleisch präsentiert sich mächtig aber auch zusehends „grüner“
In den gigantischen Fleischhallen herrscht rege Betriebsamkeit. Alle großen Fleischerzeugerländer sind natürlich vertreten. Außer Indien, dem größten Fleischexporteur der Welt. Aber Brasilien, USA, Argentinien, Urugay und die europäischen Fleischriesen sind alle da. Und wie sie DA sind. Mächtig. Klassisch. Fleischberge. Ganz anders inszenieren sie zumeist ihr Produkt wie die schicke, zurückgenommene Ästhetik, mit der die Fleischersatzhersteller oder die Bio-Produzenten Ethik! Ethik! Ethik! auf ihre Fahnen heften.
Alle großen Fleischerzeugerländer sind natürlich vertreten
Julia macht mich darauf aufmerksam, dass hier beim Fleisch fast ausnahmslos junge, freizügig gekleidete Damen die Attraktivität der Stände heben sollen. Während es dort, wo nachhaltige, gesunde, ethisch gut beleumundete Produkte um Aufmerksamkeit ringen, slimfitte Männer sind. Die wissen schon, wer was einkauft, denk ich mir…
Klassisch inszenierte Fleischberge hier...
... und die ethisch-sterile Optik hier
Aber auch Fleisch hat die Zeichen der Zeit erkannt und macht einen auf „grün“ und nachhaltig und ethisch. Die weidende Schafherde auf sattem Grün, das ans schäumende Meer angrenzt, Rinder in der endlosen Pampa; Aufschriften wie „we care“ und „we respect“: geben die ganz klare Botschaft aus, dass Fleisch nicht per se verantwortungslosen, klimaschädlichen und tierquälerischen Genuss bedeutet.
we care, we respect etc...
"Grünes Fleisch" von der grünen Insel - die Botschaft ist klar...
Einschub: Chinas Gier nach Schweinefleisch
Österreich ist beim Fleisch durch die eine oder andere auch international agierende Branchengröße vertreten. Auch einige unserer Förderer besuchen wir an ihren Ständen. Hauptthema in der Schweinebranche: Die momentan schier unersättliche Gier Chinas nach Schweinefleisch aus aller Welt, außer den USA, wegen des Handelsboykotts.
Hintergrund ist der Umstand, dass China aufgrund der Afrikanischen Schweinepest gigantische Produktionseinbrüche hat, um das mal so harmlos auszudrücken. In der brutalen Realität heißt das, dass Hunderte Millionen möglicherweise erkrankter Schweine auf nach unseren Maßstäben barbarische Weise gekeult wurden und werden. Und jetzt greift China alles ab, was irgendwie an Schwein am Weltmarkt zu haben ist. Das katapultiert die Schweinefleischpreise aus dem Jammertal in ungeahnte Höhen und beschert auch unseren Schweinebauern eine kleine Verschnaufpause. Ja, die schier absurde Auswirkung hat das, dass österreichisches Schweinefleisch aufgrund des Abflusses nach Fernost für den Heimmarkt fast schon zur Mangelware avanciert und auch für uns Konsumenten teuer ist, wie seit langem nicht mehr. Nur leider sieht der heimische Konsument die Hintergründe und Zusammenhänge nicht, ansonsten wäre er herzlich eingeladen, sich so seine Gedanken zu dem ganzen Thema globaler Fleischmarkt zu machen…
Und jetzt greift China alles ab, was irgendwie an Schwein am Weltmarkt zu haben ist. Das katapultiert die Schweinefleischpreise aus dem Jammertal in ungeahnte Höhen und beschert auch unseren Schweinebauern eine kleine Verschnaufpause.
Apropos globaler Fleischmarkt: Insgesamt hat man nach einem Besuch der Fleischhallen auf der ANUGA nicht den Eindruck, dass die weltweite Fleischwirtschaft groß in der Defensive wäre und sich auf schwere Einbrüche vorbereiten würde, trotz hie und da wie zarte Pflänzchen zwischen den Fleischtrögen aufsprießenden Fleischalternativen. In die Erforschung und Entwicklung von Fleischalternativen im großen Stil, seien diese pflanzlicher Natur oder solche aus dem Reagenzglas (Stichwort Laborfleisch), investieren freilich längst auch die großen Player der internationalen Fleischbranche. Risikostreuung nennt man das wohl an der Börse…
Der Mensch lebt nicht von Fleisch allein…
… denken wir uns und machen uns auf weiter auf den Weg über die Getränkewelt zur Feinkost, wo mir eine prall mit Fleisch und Wurstwaren sowie Käse gefüllte und geschmackvoll mit Obst und Gemüse „garnierte“ Theke im italienischen Stil sofort auf das Angenehmste ins Auge fällt, ebenso wie liebevoll drapierte französische Spezialtäten. Den denkbar schärfsten Kontrast dazu finde ich wenig später in der riesigen USA-Abteilung. Hier plärrt mich in schrillster „Zuckerlfarben-Optik“ die schnell ermüdende „Vielfalt“ an Convenienceprodukten an. Schöne neue Lebensmittelwelt, denke ich mir, sehe ich hier etwa schon die Zukunft unserer kulinarischen (Un)kultur?
Italien...
... Frankreich ...
... und die USA - sieht so die schöne neue Welt der Lebensmittel aus?
Da stehe vorderhand noch Brot und Käse, Obst und Gemüse, Fleisch und Fisch und welche „echten“ Lebensmittel sonst noch für uns Menschen den Tisch decken vor! So mein abschließendes Stoßgebet.