AfterWork am Bauernhof: auf Du und Du mit Schwein und Kuh
09.05.2022 / Landwirtschaft & Lebensmittelproduktion
Die Zeiten, in denen man an der Herstellung seiner Lebensmittel beteiligt war, sind längst vorbei. Mit wenigen Ausnahmen genügt heute ein kurzer Gang in den nächsten Supermarkt, um alles zu bekommen, was man braucht – und noch viel mehr. Das hat viele Vorteile. Es hat aber auch den großen Nachteil, dass das Wissen darüber, wie Lebensmittel produziert werden, in der breiten Bevölkerung weitgehend verloren gegangen ist. Eine Initiative, die dem entgegenwirken möchte, ist „AfterWork am Bauernhof“ vom Österreichischen Kuratorium für Landtechnik und Landentwicklung (ÖKL). Die Idee: In regelmäßigen Abständen können Interessierte den Freitagnachmittag nutzen, um landwirtschaftliche Betriebe zu besuchen und einen Blick hinter die Kulissen der Lebensmittelproduktion zu werfen. Wir haben uns der Landpartie angeschlossen und unter dem Motto „G’schichtln aus dem Wienerwald“ zwei Betrieben einen Besuch abgestattet.
Treffpunkt ist in Siebenhirten, von wo aus wir die Stadt in Richtung Südwesten mit dem Bus verlassen. Die halbe Stunde bis zum Erreichen unseres ersten Ziels, dem Biohof Berger in Nöstach, nutzt Organisatorin Kornelia Zipper vom ÖKL, um ihre etwa 20-köpfige Reisegruppe in das Thema des heutigen Ausfluges einzuführen. Diesmal geht es nämlich zunächst um die Milch – und über die gibt es eine Menge zu wissen. Zum Beispiel, was der Unterschied zwischen Milch- und Mutterkühen ist, wieviel Milch eine durchschnittliche Milchkuh gibt oder dass wir in Österreich sehr viel mehr Milch produzieren, als wir konsumieren. Bis wir in der idyllischen Wienerwaldgemeinde ankommen, sind wir also schon fast Milch-Profis. Oder jedenfalls auf dem besten Weg dorthin, denn nun übernehmen Christian Berger und seine Lebensgefährtin Annemarie, die uns bei einer Führung durch ihren Milchviehbetrieb noch viele weitere spannende Details erklären.
Hautnah mit dabei
Schon im 15. Jahrhundert haben Christians Vorfahren den Hof bewirtschaftet, und während in seiner Kindheit noch lediglich acht Milchkühe und deren Nachzucht hier lebten, hat Christian den Hof zusammen mit seinem Bruder mittlerweile zu einem hochmodernen Betrieb mit rund 50 Tieren ausgebaut. In einem großzügigen Laufstall können sie sich frei bewegen und selbst entscheiden, wann sie gemolken werden – denn das geschieht bei den Bergers mittels Melkroboter. Während wir Laufstall und Melkroboter besichtigen, werden wir von den Tieren neugierig beäugt, und die eine oder andere Kuh lässt sich auch den weichen Kopf streicheln. Besonders angetan haben es uns die hübschen Jersey-Rinder mit ihrem schönen braunen Fell und den dunklen Augen. Und natürlich die Kälbchen, die ihre Köpfe ganz unerschrocken durch die Gitterstäbe strecken.
In den Sommermonaten verbringen die Milchkühe ihre Tage auf der Weide, von der sie mehr oder weniger selbstständig am Nachmittag ihren Weg zurück in den Stall finden. An diesem Freitag zieht es sie nicht nach Hause, zu groß ist wohl die Freude darüber, nach den Wintermonaten endlich wieder die großen Nasen in die Sonne und das frische Gras strecken zu können. Wenn die Kühe nicht zu uns kommen, müssen wir zu ihnen, und so machen wir uns auf den Weg in Richtung Weide. Wer sich traut, kann unter Anweisung von Annemarie und Christian auf die andere Seite des Zaunes steigen und die Tiere zum Stall treiben, darf sich dabei aber nicht vor dem ein oder anderen Bocksprung erschrecken. Denn wenn plötzlich gut 20 Fremde auf der Weide stehen, ist das manch einer Kuh verständlicherweise nicht ganz geheuer.
Jause im Kuhstall
Im Stall angekommen widmen sich die Tiere ihrem Futter – und wir uns dem unsrigen. Den Großteil ihrer Milch liefern die Bergers an die NÖM, doch einen Teil behalten sie auch, um ihre eigenen Produkte herzustellen, die sie direkt vermarkten. Und die dürfen wir nun verkosten: frische Rohmilch, Butter, Joghurt, allerlei Käse und einen besonders guten Kürbiskernaufstrich. Alles schmeckt köstlich und wir genießen es, wieder einmal etwas anderes probieren zu können als die immer gleichen Produkte aus dem Supermarkt. Alles kann direkt ab Hof erworben werden, und diese Chance lassen wir uns nicht entgehen. Vollbepackt mit guten Sachen und neuem Wissen über den Alltag auf einem Milchviehbetrieb verlassen wir den Biohof Berger und machen uns auf den Weg zu unserer zweiten Station, dem Annahof in Laab im Walde.
Entdeckungsreise durch den Wienerwald
Frei nach dem Motto „Der Weg ist das Ziel“ lassen wir auch den zweiten Teil unserer Busfahrt nicht aus, um etwas dazuzulernen. Und sind erstaunt, wie wenig wir eigentlich über die unmittelbare Umgebung Wiens wissen. Weg und Ziel ist in diesem Fall nämlich der Wienerwald, und mit von der Partie sind Andreas Weiß und Nina Kovac von der Initiative „Biosphärenpark Wienerwald“, die uns von der Entstehung und Bedeutung des europaweit einzigen Biosphärenparks am Rande einer Millionenstadt erzählen. „Am Rande“ trifft es tatsächlich, wie uns unser nächster Stopp beweist. Denn als wir am Annahof aussteigen, sind wir nur noch wenige Kilometer von der Wiener Stadtgrenze entfernt – und dennoch mitten am Land.
Hier empfängt uns Hannes Schabbauer, der den Annahof seit 2006 pachtet und biologisch bewirtschaftet. Errichtet wurde der Hof erst Anfang der 1990er Jahre im Auftrag des Klosters Laab, das die Landwirtschaft in den darauffolgenden Jahren zur Eigenversorgung betrieb. Von Mutterkuh-, Hühner- und Schweinehaltung bis hin zu Obst- und Getreideanbau findet man hier eine bunte Vielfalt. Es wundert also nicht, dass Hannes zwischenzeitlich 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt hat, um die Arbeit zu bewältigen. Heute sind es deutlich weniger, mit deren Hilfe die Milch eines anderen Betriebes zu Käse verarbeitet, die eigenen Kühe am Hof geschlachtet und zerlegt, die Äpfel geerntet und nicht zuletzt Schulklassen die Arbeit von Bäuerinnen und Bauern nähergebracht wird. Denn im Rahmen des Projektes „Schule am Bauernhof“ besuchen fast täglich Schulklassen den Annahof und lernen so, wo und wie Lebensmittel hergestellt werden.
Nach einer Führung durch Kuh-, Schweine- und Hühnerstall – allesamt mit Auslaufmöglichkeiten, die Hühner erreichen ihre sogar durch einen unterirdischen Tunnel, um die Straße nicht überqueren zu müssen – geht es zu den Apfelbäumen, die Hannes‘ ganzer Stolz sind. Denn in einer Region wie dem Wienerwald, die für den Obstbau sehr atypisch ist, bedarf es einiges Fingerspitzengefühls, um Äpfel anzubauen, noch dazu biologisch. Im Anschluss dürfen wir auch hier die hofeigenen Produkte kosten. Der selbst hergestellte Käse sowie Hartwürste von den eigenen Schweinen werden von Weinen des Mödlinger Weingutes Pferschy-Seper begleitet, die wir – wir geben es gerne zu – schon herbeigesehnt haben. Auch die großen Strohballen, die den Kindern bei ihren Exkursionen als Hüpfburg dienen, laden zum Sitzenbleiben ein, während wir Hannes‘ Erzählungen über seinen Hof und seine Arbeit als Bauer zuhören und uns mit den anderen austauschen.
Vom Büro in den Stall – unbedingt ausprobieren!
Bevor wir die Heimreise antreten – natürlich nicht ohne einen Abstecher in den gut sortierten Hofladen, der neben den Produkten des Annahofes auch die anderer Betriebe vermarktet – besuchen wir noch die Schottischen Hochlandrinder, die sich bis dahin noch nicht zeigen wollten. Ihre Weide erstreckt sich weitläufig über den Hügel hinter dem Hof, von wo man einen fantastischen Ausblick auf die Umgebung hat.
Um viele Eindrücke und Informationen reicher sind wir mit Sonnenuntergang wieder an unserem Ausgangspunkt angekommen, dem Busbahnhof Siebenhirten. Unser Fazit: „AfterWork am Bauernhof“ ist eine wundervolle Möglichkeit, seinen Feierabend zu verbringen, bei der auch wir viel Neues gelernt haben, tolle Betriebe, Landwirtinnen und Landwirte sowie deren Produkte kennenlernen durften und es nicht zuletzt einfach genossen haben, der Stadt einmal ein wenig entkommen und Land- und Stallluft schnuppern zu können.
Infos zu den einzelnen AfterWork am Bauernhof-Events im jeweiligen Bundesland gibt es auf www.afterwork-am-bauernhof.at.