Bauer Willi gibt auf!?

02.11.2017 / Landwirtschaft & Lebensmittelproduktion

Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich hier den mittlerweile berühmten „Brief an den lieben Verbraucher“ von Bauer Willi, einem Doktor der Agrarik und Rheinländer Bauern gepostet. Das Echo auf diesen Brief war phänomenal. Willi wurde zu einem veritablen Medienphänomen. Er schrieb ein dickes Buch und betreibt seither eine Webseite, wo er sich in täglichen Posts bemüht mit dem Verbraucher ins Gespräch zu kommen. Nach meinem Dafürhalten gibt es kein auch nur annähernd so niveauvolles Portal, das sich diesem so wichtigen Anliegen verschrieben hat. Dieser Dialog findet dort statt. Er ist manchmal mühsam, mitunter polemisch, aber zumeist fachlich und kommunikativ von hoher Qualität.

Jetzt schockiert Bauer Willi seine treue Leserschaft, zu der ich mich unbedingt zähle, mit einem neuerlichen Wutbrief, wo er das Ende seines Projkets, seiner Website ausruft, ja noch mehr: Willi will kein Bauer mehr sein! Warum? Lest selbst… 

 

Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen!

Ihr habt es geschafft. Nach etwas mehr als zweieinhalb Jahren und über 50.000 Kommentaren werfe ich das Handtuch. Ihr habt mich zwar nicht überzeugt, aber ich gebe auf.

Ich bin es einfach leid, mir ständig anhören zu müssen, ich würde euch vergiften. Ich bin es leid, euch Nachhilfe in Bodenbearbeitung, Fruchtfolge, Düngung und all den anderen Dingen meines Alltags geben zu sollen. Ich will auch nicht mehr der Schuldige für alle Mißstände dieser Welt sein, angefangen vom Klimawandel, dem Aussterben von Insekten, Pflanzen, Vögeln und was sonst noch allem. Ich bin nicht mehr euer Prügelknabe. Schluss, Ende, Aus.

Wozu brauchen wir Wissenschaft? Ihr könnt ja jetzt Arbeitsgruppen bilden und Volksbegehren und Unterschriftensammlungen in Gang setzen, bei denen ihr basis-demokratisch abstimmt, was in Zukunft erlaubt ist und was nicht. Studien, Grenzwerte, Analysen, Zeitreihen, Risikobewertung? So ein Quatsch! Fakten stören das Volksempfinden. Wie sich die Menschen fühlen steht im Vordergrund. Und wer was anderes behauptet, wer versucht, sachlich aufzuklären, ist von der Industrielobby gekauft. Nur die Mehrheit kann entscheiden, was richtig und was falsch ist. Völlig faktenfrei. Das ist Demokratie! Meint ihr…

Jetzt endlich tute ich in das gleiche Horn wie ihr. Jawohl, lasst uns endlich alle Pflanzenschutzmittel und synthetische Dünger verbieten. Sofort und weltweit.  Schluss mit der Züchtung, die ja nur dazu dient, uns von Großkonzernen abhängig zu machen. Es gibt doch so viele alte Sorten wie Emmer und Einkorn…

Ich bin jetzt auch gegen Massentierhaltung und dafür, dass alle Tiere frei herumlaufen und sich in der freien Natur vermehren. Dann müssen auch keine Küken mehr getötet werden. Artgerecht ist nur die Freiheit, ich hab´s ja kapiert. Und Fleisch essen muss kein Mensch. Und Milch trinken auch nicht. Käse? Weg damit! Eier? Wozu? Es gibt doch Soja…

Ich will mich für mein tägliches Tun nicht mehr entschuldigen müssen. Ich will keine Angst vor der Zukunft mehr haben und mich mit immer neuen und schärferen Auflagen und Kontrollen herumschlagen müssen. Ich hab echt keinen Bock mehr. Nein, ich werde auch nicht auf Bio umsteigen. Denn auch Bio-Bauern arbeiten gegen die Natur. Was meint ihr, wie sich die Feldlerche fühlt, wenn ich ihr dreimal mit dem Getreidestriegel durch ihr Gelege fahre? Das will ich nicht.

Ich überlasse jetzt meinen Acker der Natur. Das wollt ihr doch. Und ich hoffe, dass meine Berufskollegen weltweit meinem Beispiel folgen. Dann haben wir endlich wieder einen bunten Planeten, so wir er vor ein paar tausenden Jahren schon mal war. Dann kommen auch Bären und Wölfe wieder zurück und die vielen anderen Tiere, die ihr so lange vermisst habt.

Ich werde wohl meinen großen Garten behalten, damit ich selbst genügend zu essen habe. Ich werde Kartoffeln einlagern, Sauerkraut machen, Marmelade kochen und Obst einmachen. Ich komme schon über den Winter! Für mich ist genug da!

Wo ihr das Essen herbekommt? Mir doch egal. Macht was ihr wollt, aber nicht mit mir. Ich bin da jetzt raus…

Nein, das ist jetzt nicht ernst gemeint. Der Text mag zynisch sein, oder Satire, oder Jammern. Es ist mir egal, was ihr darüber denkt. Es ist mir nicht nur egal, es ist mir scheißegal. Ich musste das nur mal loswerden.

Völlig unsachlich, nur nach meinem Gefühl…

 

 

Bauer Willis neuester Wutbrief hat es in sich. Ich gebe zu, dass ich zuerst wirklich geschockt war und dachte, der meint es ernst. Das war rhetorisch sehr geschickt von ihm. Ich weiß, dass Willi hier die Bedenken, das Unbehagen, das Nicht-wissen-wie-es-weiter-gehen-Soll von nicht wenigen seiner Berufskollegen sehr gut auf den Punkt bringt. Ich weiß auch, dass gerade in Deutschland die bevorstehende Regierungsbeteiligung der Grünen dieses Unbehagen nicht gerade mindert.

Wie sollen sich Bauern verhalten, wenn, wie bei keinem anderen Berufsstand, die gesetzlichen, technischen, ökonomischen Rahmenbedingungen ihres Tuns mehr und mehr Gegenstand einer öffentlichen Debatte werden? Einer öffentlichen Debatte, die massiv von selbsternannten Experten bestimmt ist und von diesen in die massenwirksamen Medien hinein getragen wird.

Warum glaubt man etwa im Zusammenhang mit Risikobewertung bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln Greenpeace oder Global 2000 mehr als den wissenschaftlichen Apparaten, Agenturen, Instituten, die jeder Staat für sich und die die EU insgesamt genau dafür eingerichtet hat? Warum wird ein Bauer, der sich auf deren Befunde, Prüfergebnisse, Zulassungsbestimmungen beruft, so wie Willi schreibt, sofort als von der Industrielobby gekauft wahrgenommen?

Warum übernehmen auflagenstarke Printmedien und öffentlich rechtliche Fernsehsender ungeprüft die Darstellungsweise besagter NGOs im Zusammenhang des zuletzt vielkolportierten Insektensterbens, wonach die industrielle Landwirtschaft als Haupt- wenn nicht alleiniger Verursacher bezeichnet wird? Während von seriöser wissenschaftlicher Seite die multifaktoriellen Ursachen für dieses Phänomen betont werden, die noch keineswegs ausreichend erforscht sind. 

Hier könnte ich noch eine Vielzahl an Beispielen nennen, wo man einer ganzen Branche nach meinem Dafürhalten allzu gern bereit ist eine Rechnung vorzulegen, die alles andere als fair und ausgewogen ist.   

Ich glaube Willis polemischer Ton trifft ein Momentum, das einer genaueren Betrachtung unterzogen werden muss. Das Tun unserer Bauern ist dabei, eine gewisse für dieses Tun notwendige Selbstverständlichkeit einzubüßen. Der gesellschaftliche Ton wird rauer. Das ist so meine Wahrnehmung, wenn ich im Netz unterwegs bin, wenn ich mich bei den NGOs umhöre und vor allem, wenn ich draußen bei den Bauern bin. Sollte uns das nicht zu denken geben?