„Das arme Huhn!“ Ein paar Gedanken zur Tierschlachtung

20.09.2016 / Landwirtschaft & Lebensmittelproduktion

Meine jüngste Tochter ist seit kurzem fünf Jahre alt. Sie liebt Chicken Nuggets. Vor kurzem waren wir bei einem Biobauern zu Gast. In „Brexit“, wo wir diesen Sommer unseren Urlaub verbrachten. Dort liefen frisch geschlüpfte „chicken“ rum in einem kleinen Käfig. Natürlich wollte mein Töchterlein die kleinen Federknäuel halten. Nachdem ich sie zur Behutsamkeit ermahnt hatte, erlaubte ich es ihr, woraufhin sie sich geschickt eines schnappte und sofort zärtliche Küsse auf den weichen Flaum drückte. Was sie dazu in einer Art liebevollen Singsang vernehmen ließ, nahm mir für einen Moment die Luft: „Chicken Nuggets, Chicken Nuggets…“ tönte es da doch tatsächlich aus dem kleinen Menschlein. Was sagt man dazu, dachte ich mir…

 

"Chicken Nuggets"?

 

Nun halte ich meine Tochter nicht für ein rohes, unempathisches Wesen! Ihre – wie es scheinen musste - spontane Assoziation vom Lebewesen, welches sie streichelnd in Händen hielt, auf das daraus gewonnene, von ihr hoch geschätzte Lebensmittel, entsprach daher zunächst so gar nicht dem, was ich mir als ihr Vater erwartet, ja ehrlich gesagt gewünscht hätte. Gleichzeitig wollte ich ihr meine Überraschung, ja leichte Verstörung nicht spüren lassen. Ich zog es daher vor, sie bei nächster Gelegenheit einmal mit der Frage zu konfrontieren, wo denn das Fleisch für ihre Leibspeise her komme. 

Vorher ließ ich mich von meiner Frau über den Stand der bereits geleisteten Aufklärungsarbeit unterrichten. Und da gestand diese mir, dass sie beim Versuch unsere Tochter über die wesentlichen Punkte zu informieren, sich mit einer „kleinen“ Lüge arrangieren musste. Als Maria (so heißt meine Jüngste) nämlich erfahren hatte, dass ihre geliebten Nuggets aus Huhn bestünden – denn das wusste sie natürlich vorher gar nicht – entschied sie selbst die weitere Aufklärung zu unterbinden und sich die Geschichte so zu erzählen, wie es ihrer Meinung nach sein müsse, sprich: Maria entschied, dass das Fleisch für ihre Nuggets von einstmals glücklichen, frei herum laufenden Hühnern, wie sie sie täglich beim Nachbarbauern auf dem Misthaufen sehen konnte, stamme, welche nach diesem glücklichen Leben eines natürlichen Todes gestorben waren und dann erst dem menschlichen Verzehr zugeführt worden waren. Zarte Versuche meiner Frau zu widersprechen und der „brutalen“ Wahrheit das Wort zu reden wurden von Maria kategorisch „überhört“: „Des will i nit hören!“

 

Das Vorleben - ein Tabu?

 

Tja, was macht man da als verantwortungsbewusster Vater? Ganz „einfach“: sich unbeliebt und setzt peu a peu in die heile, kindliche Phantasiewelt Stücke aus der hässlichen Realität hinein gegen den Widerstand des eigenen Kindes. Ich wüsste nicht, was ich sonst tun könnte. Und das mache ich denn auch. Erste Erfolge stellen sich ein. Zum Beispiel letzten Sonntag während ich ein ganzes Prachthuhn vom Bauern aus dem Nachbardorf fürs Rohr vorbereite, der Kommentar meiner mich dabei beobachtenden Tochter: „Das arme Huhn…“ – So langsam also dämmert etwas, dachte ich mir. 

Freilich noch mit Widerstand behaftet. Denn als ich dann aushole, dass es uns wichtig sei, zu wissen, wo und wie das Huhn aufgewachsen sei und dass man es halt dann notwendigerweise schlachten müsse, der altbekannte Protest, dass sie das nicht hören wolle. Tja, das braucht also seine Zeit. Ich werde es meinem Kind nicht hinein drücken. Bin aber definitiv der Meinung, dass ich dem Tier, das für uns sein Leben lässt, es schuldig bin, meine Tochter über diese Umstände Stück für Stück aufzuklären.

 

'Das arme Huhn…' – So langsam also dämmert etwas, dachte ich mir

Szenenwechsel:

Vor drei Wochen im Rahmen unserer Dreharbeiten zur Pute in Österreich sind wir bei einer Hofschlachtung mit Kamera und Mikro dabei. Anwesend sind neben dem Bauern, der zur ultimativen Tat schreitet, dessen drei Buben. Wie die Orgelpfeifen stehen sie da. Ich schätze mal so drei, fünf und sieben Jahre alt. Ihr Zugang zur Schlachtung dann vollkommen unproblematisch, wie ich zu sehen meine. Sie helfen beim Reintreiben der Tiere vom Feld in den Stall und sind dann ganz selbstverständlich beim Schlachten, Brühen und Rupfen dabei. Bei Letzterem legen sie ganz eifrig selbst Hand an. Ein vollkommen anderer Zugang zum Ganzen offenbar, denke ich mir.

Und ich erinnere mich zurück, wie das bei mir war. Ganz ähnlich eigentlich. Hühnerschlachtungen gab es immer wieder mal auf dem Bauernhof, der in Kindheitstagen mein zweites Zuhause war. Ich sehe mich wie heute mit einer Mischung aus Faszination und leichtem Schauder, dem blutigen Treiben beiwohnen. Traumatisch war es nicht, so denke ich bis heute. Dramatisch bis zu einem gewissen Grad bestimmt. Vor allem dann, wenn der „Wost“ (Sebastian) das Schlachten übernahm und uns Kinder damit schreckte, dass er die kopflosen und entsprechend blutspritzenden Hühner herumflattern ließ, statt sie vorher zu betäuben und während dem „Auszucken“ fest zu halten. Das war natürlich nicht in Ordnung, aber es war auch eine Show.

 

Hofschlachtung: Eine Mischung aus Faszination und leichtem Schauder

 

Szenenwechsel:

Während der Dreharbeiten in einem  modernen Schlachthof, wie im Video am Ende des Beitrags zu sehen. Mein Eindruck hier: Alles ist streng reglementiert, alles muss schnell gehen. Effizienz und Hygiene werden groß geschrieben, Lebensmittelsicherheit natürlich. Bin ich jetzt irgendwie besonders „betroffen“ von der Atmosphäre? Ehrlich gesagt, nein. Es ist nicht schön, es riecht nach Blut, es ist entweder ziemlich warm bis heiß, während dem Schlachtvorgang, dem Rupfen und dem Reinigen der Schlachtkörper, oder aber saukalt sobald dieser in die Kühlkette kommt. Es wäre für mich unvorstellbar hier zu arbeiten. Aber ich habe Respekt für jene, die unserer Gesellschaft diesen Dienst tun. 

 

Schlachthof: Alles im Zeichen von Effizienz, Hygiene, Lebensmittelsicherheit

 

Tun mir die Hühner leid? Wiederum, ehrlich gesagt, nein. Ich finde zwar eine in Würde durchgeführte Hofschlachtung in jeder Hinsicht „besser“, weiß aber auch, dass dies ziemlich sicher ein durch nostalgische Gefühle subjektiv gefärbtes Urteil ist. Ich kann die Vorgänge hier nicht verurteilen. Ich verstehe sie. Ich weiß, wie sie zusammenhängen mit den „Erfordernissen“ und eingefleischten Gewohnheiten unserer arbeitsteiligen High-Tech Gesellschaft. Wie käme ich dazu ausgerechnet hier den Ort erkennen zu wollen, wo „Böses“ geschieht. Ich gehe noch einen Schritt weiter und sage jedem, der heute Fleisch isst, dass er sich mit diesen Bildern konfrontieren sollte: einer Schlachtung im Schlachthof und einer Hofschlachtung.