Die Kraft am Land ist weiblich Vol. 2: Sylvia Astner

16.08.2019 / Landwirtschaft & Lebensmittelproduktion, Lebensraum & Nachhaltigkeit

Sylvia Astner ist eine blitzgescheite Frau, eine, die sehr gut zu schreiben versteht und auf Fragen wohl überlegt und präzise antwortet in einem Deutsch, das man von einer Bäuerin nicht unbedingt erwartet hätte. Da mache ich mich jetzt vielleicht unbeliebt? Aber ist es nicht so?

Eine seltsame Einleitung für ein Bäuerinnen-Portrait, nicht wahr? Was will ich damit sagen? Dass ich Bäuerinnen nicht unbedingt für die Allerklügsten und Redegewandtesten halte? Weil Bäuerinnen schließlich Hand- vielmehr als Kopfarbeiterinnen sind und Sprache anders als bei Rechtsanwältinnen, Lehrerinnen oder Managerinnen nicht zu ihren zentralen Werkzeugen gehört? Weit gefehlt! Was ich damit sagen will, ist, dass viele von uns – und mich nehme ich da nicht aus – ein Bild von der Bäuerin im Kopf haben und vermutlich auch noch sehr viele Bäuerinnen von sich selbst, das unbedingt hinterfragt gehört. Weil es der heutigen Realität so gar nicht mehr gerecht wird. Sylvia, die Bäuerin vom Fohlenhof in Nikolsdorf bei Lienz hat sich diese(n) Fragen und viele(n) andere(n) noch gestellt. Erst seitdem, sagt sie, versteht und bezeichnet sie sich auch als Bäuerin. Oder eigentlich mit jenem Begriff, der ihr plötzlich eingefallen ist: Bauerfrau – Die Bäuerin der neuen Zeit.

 

Der "Fohlenhof" in Nikolsdorf bei Lienz

 

Bauerfrau im bäuerlichen Familienbetrieb

Der bäuerliche Familienbetrieb. Das nach wie vor bei weitem vorherrschende Betriebsmodell in der landwirtschaftlichen Produktion in Österreich. Was macht den eigentlich aus? Warum wird er so hoch gehalten in den öffentlichen Debatten, wenn es darum geht, Österreichs Landwirtschaft als besonders, auch besonders erhaltenswert erscheinen zu lassen? Danach gefragt, fällt Sylvia die Antwort nicht schwer. Nichts Geringeres als eine der wertvollsten Ressourcen unseres Landes sei er. Mit ihm stehe und falle möglicherweise die Verbindung zur Natur und damit die Verbindung zu uns selbst: „Wir sind jener Berufsstand, der noch am ehesten angebunden ist an die Natur, wir leben und arbeiten in bzw. mit der Natur. Wir hätten grundsätzlich die besten Voraussetzungen, um die Weisheit der Natur für uns zu nutzen und Menschen weiterzugeben.“ Weisheit, Natur oder auch Verantwortung. Diese zu übernehmen bedeute ihr Landwirtschaft. Sylvia scheut sich nicht die großen Worte in den Mund zu nehmen. Und mehr noch: Ernst damit zu machen. Diese großen Worte im Alltag mit Leben zu füllen, das sieht sie als ihre ureigenste Aufgabe als Bauerfrau. Folgerichtig gilt ihre ganze Leidenschaft dem bäuerlichen Familienbetrieb. 

 

Wir sind jener Berufsstand, der noch am ehesten angebunden ist an die Natur, wir leben und arbeiten in bzw. mit der Natur. Wir hätten grundsätzlich die besten Voraussetzungen, um die Weisheit der Natur für uns zu nutzen und Menschen weiterzugeben.

Natürlich zuallererst mal ihrem eigenen. Der ist, was die betrieblichen und personalen Eckdaten betrifft, von recht klassischem Zuschnitt: Bauernsohn, der mittlerweile schon übernommen hat, heiratet Bauerntochter aus unmittelbarer Nachbarschaft. Vier Kinder und die Eltern bzw. Schwiegereltern leben alle unter demselben Dach. Der Betrieb wird im Vollerwerb geführt, die Gunstlage im flachen Talboden der Drau ermöglicht das. Mastrinder, Kartoffeln, Hanf, Polenta und Getreide sind die wichtigsten Produktionszweige. Daneben fließen Einnahmen aus diversen Dienstleistungen und aus der Verpachtung von Eigenfläche für einen kleinen Sportflugplatz ins Budget. Man ist in der Endphase des Umstiegs auf Bio und man steht vor großen Veränderungen in der Betriebsstruktur – aber dazu etwas später.

 

Vier Kinder und die Eltern bzw. Schwiegereltern leben alle unter demselben Dach

 

So weit so interessant. Damit wäre der Familien-BETRIEB einigermaßen beschrieben. Der ist wichtig, stellt die ökonomische Basis dar. Diesem Teil des Wortes „Familienbetrieb“ wird regelmäßig großes Augenmerk zuteil, wenn es darum geht, dessen Zukunftschancen am beinharten Markt einzuschätzen, der auch hierzulande längst ein Verdrängungsmarkt ein „Wachsen-oder-Weichen-Markt“ geworden ist. Was dabei ganz häufig und eigentlich regelmäßig unterbeleuchtet bleibt, ist der erste und wie Sylvia betont, noch wichtigere Teil des Wortes „FAMILIEN-Betrieb“: Die Familie. Für Sylvia die Basis aller weiteren Überlegungen, die wichtigste Ressource im guten und der eigentliche und oft unerkannte Hemmschuh im weniger guten Fall.

Impressionen vom FAMILIEN-Betrieb Fohlenhof

 

Das angepasste Mauerblümchen rebelliert

Eine unauffällige Pubertierende, eine, die zu allem ja und Amen gesagt habe, sei sie gewesen die längste Zeit. Dabei habe sie die Situation in ihrer Herkunftsfamilie mit den drei Geschwistern, sie die Älteste davon, mit Oma und Opa auch noch im Haus als zwischenmenschlich sehr schwierig empfunden. Ein ewig wiederkehrendes Drama auf Bauernhöfen, werfe ich ein, der (häufig) versteckt oder auch offen ausgetragene Machtkampf zwischen der Jung- und der weichenden Bäuerin. Ja, sagt sie und aus dieser emotionalen Angespanntheit aus dieser Gewitterluft ohne echt befreiende Entladungen sei sie dann irgendwann und recht spät aber erst in ihrem Leben ausgebrochen.

Mit 20, zu einer Zeit, wo sie mit ihrem heutigen Mann Bernhard wohl schon zusammen, aber noch nicht verheiratet war, beginnt sie eine Ausbildung zur Sozialpädagogin in Stams. Und hier in örtlicher und emotionaler Entfernung von ihrem Zuhause bricht in ihr etwas auf. Die Rebellion meldet sich zu Wort. Alles wird in Frage gestellt und zwar nicht nur im Geiste sondern in aktiver Konfrontation. Das bringt die Familiengewitterwolken zur Entladung. Eine heftige, eine grenzwertige Zeit, aber eine notwendige Zeit. Verhältnisse, Rollen und Rollenzuweisungen werden geklärt. Das geht nicht harmonisch ab. Steine kommen ins Rollen, emotionale Schleusen brechen. Den Schneepflug habe sie dabei gemacht, so sieht sie das heute. Dass diese Spur, so schwierig sie anfänglich zu beschreiten scheint, zum letztlichen Erfolg führen kann, zeigt sich ihr immer wieder. Mitunter auf sehr berührende Weise.

Sylvia und ich sitzen übrigens bei ihr am Hof auf der sogenannten Vorbeibank, also an der direkt neben der Eingangstür an der Wand angelehnten Tischbank, wie sie jedes Tiroler Bauernhaus hat. Als an sich offene Einladung zum Hinsetzen, zum „Hoagascht“, zum Gespräch. Dieser Hoagascht, den ich bewusst sehr offen anlege, führt uns in mehreren Anläufen immer wieder zu jenen Fragen, die mich hierher geführt haben. Währenddessen sich nach und nach die meisten Mitglieder ihrer Familie zeigen – kurz nur, um dann wieder ihrer jeweiligen Beschäftigung nachzugehen. Bernhard ihr Mann wird sich dann später zu uns setzen. Jetzt sitzt er am Traktor.  

Verhältnisse, Rollen und Rollenzuweisungen werden geklärt. Das geht nicht harmonisch ab. Steine kommen ins Rollen, emotionale Schleusen brechen.

Alles ist überall gespeichert…

Sylvia vor ihren geliebten Lienzer Dolomiten

 

Die sozialpädagogische Ausbildung und die anschließende intensive Beschäftigung mit der Kinesiologie und die darauf basierenden Erfahrungen und Beobachtungen hätten ihr gezeigt, dass alles überall gespeichert sei. Dass auch Orte so etwas wie ein Gedächtnis haben. Mit derlei Aussagen weckt Sylvia den Skeptiker in mir. Das gebe ich ihr auch zu verstehen. Das klingt zunächst einmal gar zu esoterisch in meinen Ohren. Wie sie das denn meine. Da erzählt sie von einem Wald, den ihr Opa im Streit, im Grant wie sie sagt, auf ihren Vater und um diesen zu ärgern gepflanzt habe. Und wie dieser Wald dadurch zu einem emotional extrem beladenen Ort für ihren Vater geworden sei. Und wie dieser ihr erzählt habe, was er nicht alles mit seinem mittlerweile verstorbenen Vater „ausgemacht“ habe im Geist dort im Wald, während er ihn wieder gerodet hat. Wie ihn das alles mitgenommen, beschäftigt und letztlich auch befreit habe – nicht zuletzt deshalb, weil er sich darüber seiner Tochter anvertrauen habe können, mit ihr darüber reden. Etwas, das vor der Öffnung für die kommunikativen Wege in ihrer Familie durch Sylvias Schneepflug undenkbar gewesen wäre.

Und von Kosaken erzählt sie, die gegen Kriegsende sich hier in der Gegend um Lienz massenhaft eingefunden hätten, weil sie im Krieg für die Nazis und gegen die Bolschewiken gekämpft hatten. Wie ihr Schwiegervater als kleines Kind in diesen Mauern, die heute ihr Zuhause sind, Zeuge von Schießereien geworden sei und derlei wüste Geschichten mehr. Und sie sagt, dass sich das irgendwie in den Ort hier eingeschrieben habe. Dass man das ignorieren oder eben auch hinsehen und in seiner Bedeutung zu würdigen versuchen könne. Dass es zum Verständnis von Personen, zum Verstehen von Situationen sehr hilfreich sein kann, wenn man von derlei Geschichten und emotionalen Verortungen weiß. Dass man schwierige Begegnungen dann nicht mehr so persönlich nehmen müsse, als weniger kränkend empfände.

 

...dass sich das irgendwie in den Ort hier eingeschrieben habe

 

Und ich stimme mit Sylvia überein, dass es besonders die bäuerlichen Familienbetriebe sind mit ihrer oft viele Jahrhunderte überspannenden Historie, die reich sind an derlei unausgesprochenen Geschichten. Und dass es die Bäuerinnen, die Frauen am Hof viel eher sind, die hier den Mut aufbringen, an diese Geschichten zu rühren. Sie wieder- und weiterzuerzählen. Nicht um schwierige Situationen noch zusätzlich zu belasten. Im Gegenteil. Sondern um herauszufinden, was von diesen Geschichten man weitertragen, weiterpflegen, weiterhin mit Leben erfüllen will und was man aber auch auf diesem Weg hinter sich lassen will. Diese Geschichten sind ja auch reich an Wertvollem. Sie erzählen von dem, was Bauernfamilien immer schon stark gemacht hat. Werden im Kern dieser Geschichten doch oft erst widerstandsfähige und extrem anpassungsfähige Ressourcen sichtbar. So halten Geschichten diese Ressourcen lebendig. Diese gilt es zu erkennen und von etwaigen Hemmschuhen zu befreien. 

Geschichten erzählen von dem, was Bauernfamilien immer schon stark gemacht hat.

Aufbruch ins Unbekannte aber unter dem Familiensegel

So hätten sie und ihr Mann gottlob sehr früh die Möglichkeit bekommen und ergriffen partnerschaftlich alte Muster aufzulösen. Sich gemeinsam und auf Augenhöhe darüber zu einigen, was bleiben darf und was geändert werden muss. Zum Beispiel auch der bis dato wichtigste Produktionszweig, die Stier- und Ochsenmast. Diese habe man verbunden mit einem Stallneubau im 2007-er Jahr übernommen. Nicht unbedingt aber aus eigenem Antrieb, wie sich mittlerweile herausgestellt habe. Genauso herausgestellt, wie die bittere Erkenntnis, dass dieser Hauptbetriebszweig sich über die Jahre als ökonomische Nullnummer erwiesen hat. Und heute angesichts von Mercosur und US-Amerikanischen Rindfleischkontigenten sei diese Form der Mast sowieso höchst fahrlässig.

 

Rindermast wird redimensioniert...

 

Jedenfalls ist es wiederum Sylvia, die im Rahmen einer groß angelegten Gemeinwohlbilanz die Rindermast als das erkennt, was sie ist, eine im besten Fall gerade schwarze Null, wie Bernhard es auf den Punkt bringt. Keine Rede von Investitionsrückzahlungen. Redimensionierung also, entscheiden sie sich. Ein paar Ochsen werden bleiben, die wollen sie möglichst direkt und regional vermarkten und statt den Stieren Einstellpferde. Schließlich trägt der Hof ja das Fohlen im Namen, der auf eine schon lange nicht mehr betriebene Norikerzucht zurückgeht.

 

... und Pferde prägen zukünftg wieder das Bild des Fohlenhofs mit

 

Ein großer Schritt. So wie die Umstellung auf Bio. Beides ist auch keine gemähte Wiese, birgt Risiken. Und beides geht nicht ohne innere Kämpfe über die Bühne. Sylvia stellt sich selbst und ihrem Mann sogar die bäuerliche „Gretchenfrage“: Wollen wir überhaupt Bauern sein? Letztlich – und das ist für Sylvia das Entscheidende – habe man sich nach intensiven Gesprächen zusammen auf diesen neuen Weg geeinigt. Jetzt stünden alle dazu. Nur deshalb schaue sie frohen Mutes in die Zukunft. Die wichtigste Ressource „Familie“ wurde nicht übergangen sondern bewusst einbezogen.

Wollen wir überhaupt Bauern sein?

Bauerfrau hilft Bauernfrauen

Erfahrungen wie diese mit der Neuausrichtung des Betriebskonzeptes und der dieser zugrundeliegenden innerfamiliären Entscheidungsfindung sind es, von denen Sylvia überzeugt ist, dass sie in den Grundzügen übertragbar sind. Übertragbar auf viele, viele bäuerliche Familienbetriebe, die sich mit ähnlichen Schwierigkeiten und grundlegenden Fragen konfrontiert sehen. Aus diesem Erfahrungsschatz heraus hat Sylvia vor einiger Zeit beschlossen, Vorträge und Kurse für (angehende) Berufskolleginnen anzubieten:

BAUERFRAU, das ist DIE FRAU DES BAUERN mit eigenen Talenten, Potenzialen, Stärken, Vorlieben, Bedürfnissen etc. Nicht nur im zwischenmenschlichen/familiären Sinne, sondern eben auch mit ihrem beruflichen Know How aus der Zeit vor der Heirat. Sind wir doch ehrlich, in vielen Fällen haben Bäuerinnen doch gar keine berufliche Wahlmöglichkeit. Die partnerschaftliche/zwischenmenschliche/familiäre Komponente ist also eines der zentralen Themen, die ich im Rahmen meinr Vorträge und Seminare zu reflektieren anrege.

Schön fände Sylvia – und ich damit – wenn ihr Angebot ins offizielle Programm des Ländlichen Fortbildungsinstitutes LFI aufgenommen würde. Gespräche mit den zuständigen Personen deuten darauf hin, dass diese Hoffnung sich in nicht ferner Zukunft erfüllt. Ich wünsche Sylvia jedenfalls, dass ihr Angebot zur an sich reichlich vorhandenen Nachfrage findet. Dass viele Bäuerinnen sich mehr und mehr ihrer Schlüsselrolle bewusst werden und den Mut aufbringen diese auch auszufüllen. Überkommene Strukturen aufzubrechen, das „so haben wir es immer schon gemacht“ und „das sind wir unseren Ahnen schuldig“ und derlei immer noch tief verwurzelte Glaubenssätze zu hinterfragen. Ihr eigenes und dadurch vielleicht auch im Partner, in der Familienkonstellation schlummerndes Potential zu erkennen. Mit dem Blick einer Bäuerin, der ein anderer ist, und den sich immer noch zu wenige zutrauen, erlauben, einfordern.