Die „gute Pute“ oder doch nicht ganz so gut?

27.10.2016 / Landwirtschaft & Lebensmittelproduktion, Essen & bewusster Konsum

„Wenn ich krank bin, ess ich gerne Pute - dann spar ich mir das Antibiotikum.“ Wer kennt ihn nicht diesen alten Kalauer? Was ist dran an der Mär von der „Antibiotikaschleuder Truthahn“? Wie schaut die Realität aus – in Österreich? Nachdem ich mich nun intensiv über Monate mit der heimischen Putenproduktion beschäftigt, mir die Dinge vor Ort angeschaut und erklären lassen habe, hat sich mein Bild von der Pute doch so ziemlich gewandelt – zum Besseren.

 

Wo liegt das Problem? Nicht (unbedingt) in Österreich!

Ja, ich gebe zu, auch ich habe seit vielen Jahren schon Putenfleisch von meinem Speisezettel gestrichen. Zu viele unschöne Bilder, zu viele Skandalberichte rund um den Truthahn. Da bleibt was hängen. Da wird schon was dran sein… Und, um es gleich vorneweg zu sagen, es wundert mich nicht, dass die Pute kein gutes Image hatte und hat. Sie hat es sogar großteils zu Recht. Nur gilt das nicht für Österreich. Was meine ich damit: Die Putenmast gilt unter Fachleuten als schwierig, als Königsdisziplin, der große Vogel als ausgesprochen anspruchsvoll. Kein anderes Federvieh weist derart starke Wachstumsraten auf. Diese Leistungsfähigkeit setzt aber ein fehlerloses Management voraus, wenn das Tier nicht nur gesund bleiben, sondern auch seinem Anspruch an Wohlergehen entsprochen werden soll. 

... es wundert mich nicht, dass die Pute kein gutes Image hatte und hat. Sie hat es sogar großenteils zu Recht. Nur gilt das nicht für Österreich.

Angesichts dessen erscheint es einigermaßen befremdlich, dass anders als im Masthuhnbereich EU-weit keine verbindlichen Regelungen zu einigen das Tierwohl maßgeblich beeinflussenden Haltungsbedingungen bestehen. Österreich geht hier einen Sonderweg, dem nur Schweden einigermaßen folgen kann. Besonders – aber nicht nur – hinsichtlich der so genannten Besatzdichte. Diese regelt, wie viele Tiere maximal auf einer bestimmten Fläche gehalten werden dürfen. Neben der Besatzdichte sind im Sinne des Wohlergehens der Pute in Österreich auch vorbildliche Regelungen, was die Einstreu, die Stallhygiene, die Futter- und Wasserqualität anbelangt, zu nennen. Nicht zuletzt dürften im Sinne des Putenwohlergehens auch höhere Ausbildungsstandards für Putenhalter sein, wie sie in Österreich implementiert sind. 

Statistiken sind eine Sache, „Stallgeruch“ eine andere…

Und all dies greift, wie etwa ein signifikanter Rückgang im Antibiotikaeinsatz zeigt. Dieser wird übrigens penibel und lückenlos in einer ebenfalls weltweit einzigartigen Datenbank erfasst, die der Österreichische Geflügelgesundheitsdienst seit vielen Jahren führt. 

Dr. Bärbel Mägdefrau-Pollan, Tierärztin im Burgenland, vor der Datenbank des Geflügelgesundheitsdienstes

 

Grau ist alle Theorie, leicht zu fälschen sind alle Statistiken, mag sich da manch einer denken. Bunt und vielfältig ist die Praxis. So auch in der österreichischen Putenmast. Ich war in vielen Ställen, habe die Luft dort gerochen, die Tiere gesehen und gehört, habe mit den Bauern, mit Tierärzten, „Branchenhäuptlingen“ und Wissenschaftlern gesprochen - und mein Gesamteindruck danach: Der Pute in Österreich ergeht es besser als es der internationale Ruf, den dieser Vogel hat, vermuten lassen würde. 

Impressionen aus österreichischen Putenställen

 

Das klingt dir vielleicht nach Propaganda, zu schön, um wahr zu sein? Na gut, dann will ich auch ein paar kritische Worte aus berufenem Munde hintennach reichen. Werner Zollitsch, Experte für Tierhaltung an der BOKU in Wien, teilt zwar die Ansicht, dass Österreich in der Putenmast eine Sonderstellung einnimmt, was die oben erwähnten Rahmenbedingungen und die diesen unterlegten Kontrollen betrifft. Allein, was die auch hierzulande verwendeten Zuchtlinien anlangt, glaubt er eine heikle Grenze bereits generell überschritten. Die allzu rasche Fleischzunahme ginge nolens volens auf Kosten des Tierwohls und teilweise auch der Gesundheit des Vogels. Ein Schritt zurück, wie er in der Biohaltung bereits praktiziert würde, wäre hier aus seiner Sicht begrüßenswert. Die Zucht liegt freilich nicht in heimischen Händen sondern global gesehen bei einigen wenigen Zuchtkonzernen! Und ob die Stimme des Warners aus Wien bis in deren Entscheidungsetagen vordringen wird, sei hier einmal dahin gestellt… 

Die allzu rasche Fleischzunahme geht auf Kosten des Tierwohls. Ein (züchterischer) Schritt zurück wäre begrüßenswert

Wo liegt das Problem? Doch (irgendwie) in Österreich?

Jetzt mal abgesehen von den zuletzt angesprochenen Fragezeichen, welche die Züchtung aufwerfen, lehne ich mich hier mal weit aus dem Fenster und behaupte, Österreichs Putenproduktion ist die beste der Welt. Für die Pute selbst und für den Konsumenten, wohl auch für den Bauern, der es im Großen und Ganzen mit im internationalen Vergleich schlicht gesünderen, robusteren, einem geringeren Krankheitsdruck ausgesetzten Putenbeständen zu tun hat, was ihm seine Arbeit einerseits sicher erleichtert, andererseits natürlich wie oben schon erwähnt ein perfektes Management von seiner Seite voraussetzt. 

Vorbild Schweiz?

Wenn ich vorher die österreichische Putenproduktion als die beste der Welt für Tier, Konsument und Umwelt bezeichnet habe, dann habe ich ein Land ausgeblendet, das in dieser Hinsicht noch „besser“ ist. Die Schweiz. ABER: Die dortige „luxuriöse Putenproduktion“ verdient den Namen kaum noch, weil es sie fast nicht mehr gibt. Die Schweiz kann sich kaum noch selbst mit Putenfleisch versorgen, bezieht fast das gesamte Putenfleisch aus dem Ausland, zu einem nicht unerheblichen Teil auch aus Österreich, weil hier die Qualität dem Schweizer Anspruch noch am nächsten kommt. Warum diese Entwicklung in der Schweiz? Wie mir Schweizer Geflügelexperten im Rahmen eines Tierwohlsymposiums mitgeteilt haben, hat dies mehrere Ursachen, die alle darauf hinaus laufen, dass der Schweizer Konsument für das im Vergleich extrem teurere Putenfleisch heimischer Herkunft nicht bereit war den erforderlichen Preis zu zahlen. Nicht zuletzt deshalb, weil der Exot Pute nicht mit denselben Sympathiewerten punkten kann, wie etwa die „heilige Kuh“, oder auch das noch als heimisches Tier geltende Huhn. 

 

Die Schweiz kann sich kaum noch selbst mit Putenfleisch versorgen, bezieht fast das gesamte Putenfleisch aus dem Ausland

Anders gesagt, wie es der Pute zu Lebzeiten erging, ist dem Schweizer bei weitem nicht so wichtig und deshalb ist er auch nicht bereit sich das entsprechend kosten zu lassen. Bevor wir jetzt auf die „knausrigen“ Schweizer schimpfen, dürfen wir Österreicher uns schön brav selbst an die Brust schlagen. Auch unsere Putenbranche leidet unter dem ökonomischen Druck von auswärts, auch im österreichischen Einkaufswagen, ganz zu schweigen vom Teller mit den Putenbruststreifen im Restaurant, landet zunehmend das billigere ausländische Putenfleisch. Das ist ein Problem für den hiesigen Putenbauern und für die gesamte Branche. Der österreichische Selbstversorgungsgrad ist rückläufig und kurvt so um die 40 Prozent herum. Die Produktionsmenge fiel um ein Drittel von knapp 31.000 Tonnen im Jahr 2004 auf ca. 20.000 Tonnen 2015. Und wenn man dann noch ein bisschen weiter in der Statistik gräbt, dann fällt auf, dass ein nicht unerheblicher Teil der inländischen Produktion - vor allem der biologischen! - exportiert wird. Wir haben also keinerlei Grund auf die Schweizer herab zu sehen, wir sind um nichts besser.  

Wo liegt also das Problem? Nicht zuletzt bei uns als Konsumenten und Gäste…

würd ich sagen. Wer sich auf Pute steht, der sollte zu heimischer Ware greifen. Im Lebensmitteleinzelhandel hat er dazu immer die Gelegenheit. Österreichische Pute wird dort neben billigerer ausländischer Ware angeboten. Bei Bio-Pute wird’s schon etwas schwieriger. Die bekomm ich nur noch in einzelnen Filialen. Wie mir Brancheninsider sagen, bestehe einfach die entsprechende Nachfrage nicht. Bio-Pute wird als zu teuer liegen gelassen. Beim Außer-Haus-Konsum ist von Bio sowieso keine Rede. Zumeist aber leider auch nicht von heimischer konventioneller Pute. Die wirst du nur in Ausnahmefällen beim Wirten deiner Wahl vorgesetzt bekommen. Frag mal nach! 

Bio-Pute, im Handel kaum vertreten, im Außer-Haus-Konsum noch nicht mal konventionelle österreichische 

 

Mein persönliches Fazit

Ich empfinde es als ein Armutszeugnis, was mir ein Blick hinter die Kulissen in der Putenbranche verrät: NICHT für die in vielerlei Hinsicht vorbildliche heimische Putenproduktion! Sondern für den Stellenwert, den wir Konsumenten dem Tierwohl beimessen, wenn es um die Pute geht. Egal ob innerhalb oder außerhalb der eigenen vier Wände. Da greifen wir lieber zur Putenbrust aus Ungarn, Polen oder (bestenfalls noch) Deutschland, weil die einfach billiger ist. Kann es wirklich sein, dass uns dieser Vogel, weil er so „hässlich“ und ursprünglich ein „Amerikaner“ ist, so wenig am Herzen liegt, obwohl wir ihn liebend gern verspeisen? Ich will das nicht glauben!