Gentechnik – müssen wir umdenken?
05.05.2017 / Landwirtschaft & Lebensmittelproduktion, Lebensraum & Nachhaltigkeit
„Österreich ist frei!“ hieß und heißt es nach 1955 noch einmal vor und seit 20 Jahren: nämlich gentechnikfrei. Das offizielle Österreich feiert sich als international viel beachteter Vorreiter. Indes kümmert sich die globale Forschungslandschaft wenig um die gentechnikfreie Insel der Seligen, sondern präsentiert neue, „sanfte“ Technologien mit angeblich enormem Potential für die Lebensmittelproduktion.
Ganz Österreich will „das“ nicht! Ganz Österreich?
Der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen ist in Österreich verboten, die großen Handelsketten versichern, dass sie keine gentechnisch veränderten Lebensmittel einlisten und ganzen Branchen wie jener der Milch- und Hühnerfleischproduktion kommt kein gentechnisch verändertes Futter in die Tröge und Fressnäpfe. „Als erstes Land der EU haben wir 2015 die Gentechnikfreiheit im Anbau sogar in der Verfassung verankert“ verlautet Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter sichtlich stolz und seine Neo-Kollegin Pamela Rendi-Wagner versichert: „Quer über Österreich – bei den Parteien, in der (Land)Wirtschaft aber vor allem bei den KonsumentInnen – gibt es Konsens darüber, dass Österreich Gentechnik-frei bleiben muss.“
Als erstes Land der EU haben wir 2015 die Gentechnikfreiheit im Anbau sogar in der Verfassung verankert.
Das mag alles so sein. Wobei ich mir bei der angesprochenen Landwirtschaft nicht ganz so sicher wäre. Oder um es offen zu sagen: Wie ich aus einigen Gesprächen weiß, sprechen sich nicht wenige Vertreter derselben und der dieser zuarbeitenden wissenschaftlichen Forschung zumindest hinter vorgehaltener Hand dafür aus die generelle Verteufelung der Gentechnik abzulegen und durch eine zeitgemäße differenzierende Betrachtung zu ersetzen. Selbst der eine oder andere eingeschworene Gegner der herkömmlichen Gentechnik wird schwach angesichts neuer Technologien wie „CRIPSR/Cas9“.
Nicht wenige Experten und Praktiker würden die generelle Verteufelung der Gentechnik lieber durch eine zeitgemäße differenzierende Betrachtung ersetzen.
Gentechnik a la Monsanto - Blockiert ein altes Feindbild einen offenen Zugang?
Neue Technologien arbeiten smarter, sanfter, schneller…
Das revolutionär Andere an dieser Technik liegt im vergleichsweisen minimal invasiven, gezielt „chirurgischen Eingriff“ in die DNA und in der schnellen Anwendbarkeit in der Praxis. Bei CRIPSR/Cas9 werden auch keine artfremden Gene irgendwo in die DNA eingebaut, wie in der herkömmlichen Gentechnik, sondern ein Enzym steuert gezielt eine Stelle im Erbgut an, zerschneidet dort die DNA und die natürlichen Mechanismen der Zelle reparieren den Strang dann automatisch. Die dadurch erreichten (und erwünschten) Veränderungen könnten auch in der Natur durch spontane Mutation entstehen. In der klassischen Züchtung werden erwünschte Veränderungen ebenfalls angestrebt, aber nur auf wesentlich mühsamerem und langwierigerem Weg, wenn überhaupt, erreicht.
Wo liegen die Potentiale und gibt es Risiken?
Ich möchte hierzu einige längere Passagen aus einem bemerkenswerten Interview anführen. Dieses hat Greenpeace mit dem renommierten Schweizer Agrarwissenschaftler Urs Niggli, Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL), geführt. Und genau darin liegt schon das Bemerkenswerte, um nicht zu sagen höchst Erstaunliche: Ausgerechnet Greenpeace, die Speerspitze der Gentechnikgegner schlechthin, veröffentlicht auf seiner Webseite ein Interview mit einem wirklich angesehenen Öko-Forscher eines in der Bio-Forschung führenden Instituts über „Grüne Gentechnik“ UND: nicht nur wird dabei kein Teufel an die Wand gemalt sondern ganz offen über die Chancen dieser neuen Technologie gesprochen.
Bio-Experte für transparente Diskussion
Niggli: „Die Technik ist erst seit 2013 bekannt. Jedoch gibt es schon jetzt bei Weizen, Mais, Hirse, Reis und Tomate neue Sorten. Laufend kommen weitere hinzu. Der Weg von der Grundlagenforschung bis zur Anwendung in der Praxis ist also sensationell kurz. In den USA und in China kommen diese neuen Sorten in diesem Jahr auf dem Markt. Für Landwirte – auch für Öko-Landwirte – eröffnet die neue Methode viele Chancen: Es könnten Pflanzen gezüchtet werden, die sich besser an schwierige Umweltbedingungen anpassen – etwa Trockenheit, Bodennässe oder Versalzung. Die Feinwurzelarchitektur könnte verbessert werden, damit die Wurzeln mehr Nährstoffe wie Phosphor oder Stickstoff aus dem Boden aufnehmen. Auch die Toleranz oder Resistenz gegenüber Krankheiten und Schaderreger sowie Lagerungsfähigkeit und Qualität von Lebens- und Futtermitteln könnten verbessert werden. Von Kritikern werden diese Möglichkeiten gerne als leere Versprechungen abgetan. Ich meine, das sind offensichtlich ökologische Verbesserungen, die die großen Probleme der konventionellen Landwirtschaft verringern können.“
Auf allfällige Risiken angesprochen, Niggli weiter: „Die Wissenschaft geht davon aus, dass die kleinen Änderungen durch Crispr/Cas an den pflanzeneigenen Genen, die nicht von einer spontanen oder natürlichen Mutation zu unterscheiden sind, keine Risiken darstellen.“
Ist das noch Gentechnik?
Greenpeace will dann wissen, ob die neue Züchtungsmethode Gentechnik sei und damit unter das Gentechnikgesetz falle. Ob also das Gesetz angepasst werden müsste. Darauf Niggli: „Das Gesetz sagt, dass eine Pflanze gentechnisch verändert ist, wenn ihr neue Eigenschaften hinzugefügt werden, welche durch natürliche Züchtung nicht erreichbar wären. Bei Crispr/Cas ist das aber anders. Es ist eine Technik, die gezielt Mutationen bei Pflanzen erzeugen kann. Dadurch verändern sich die Eigenschaften einer Pflanze zwar, aber es werden keine neuen Gene eingeführt wie bei der ‚alten‘ Gentechnik. Die Manipulation ist also naturidentisch. Gentechnik-Kritiker argumentieren: Wenn eine Mutation durch ein technisches Verfahren zustande kommt, sei das Gentechnik – und müsse deswegen unter das Gesetz fallen und streng reguliert werden. Naturwissenschaftler betonen dagegen, dass es schon jetzt Ausnahmen bei der Erzeugung von Mutationen gibt, die nicht durch das Gentechnik-Gesetz reglementiert sind – zum Beispiel die Bestrahlung mit radioaktiven Quellen oder die chemische Behandlung. Die Frage ist, ob Crispr/Cas auch unter diese Ausnahmen fällt.“
...es werden keine neuen Gene eingeführt wie bei der ‚alten‘ Gentechnik. Die Manipulation ist also naturidentisch.
Damit ist die zentrale Frage im Umgang mit den neuen Technologien formuliert. Ist das noch Gentechnik nach dem Buchstaben des Gesetzes und damit in Europa/Österreich verboten, oder nicht? Niggli, der Naturwissenschaftler spricht sich relativ eindeutig aus. Das offizielle Greenpeace, die Grünen und - ausnahmsweise diesen folgend - offenbar auch das ganze andere parteipolitische Österreich sind sich in ihren Aussagen ebenfalls einig: Auch Crispr/Cas müsse als Gentechnik angesehen und daher per Gesetz verboten werden. Die generellen Vorbehalte bleiben bestehen, es wird weiterhin argumentiert, dass "der Eingriff in die Integrität der Zelle erhebliche unerwartete Folgen haben kann" und also dem in Europa gehuldigten Vorsorgeprinzip widerspreche.
Die offene Frage: Widerspricht die neue Technik dem europäischen Vorsorgeprinzip?
Urs Niggli und eine ganze Latte von wissenschaftlichen Kollegen widersprechen dem. Niggli, von Greenpeace auf das Vorsorgeprinzip angesprochen: „Ja, das Vorsorgeprinzip ist wichtig, ebenso die Transparenz gegenüber den Verbrauchern. Aber man muss zu einer differenzierten Einzelfallbetrachtung kommen. Es gibt Crispr/Cas-Züchtungen, die sind unproblematisch. Diese sollten weniger aufwändig geprüft werden als solche, die wirklich starke Eingriffe in die DNA der Pflanze verursachen – sie müssten aber natürlich auch seriös im Sinne des Vorsorgeprinzips geprüft und langfristig beobachtet werden. Ich plädiere sehr stark für eine Case-by-case-Betrachtung und bin gegen eine generelle Verteufelung der neuen Gentechnik.“
Noch einmal: Dies sagt ein Bio-Forscher und er sagt es im Greenpeace-Magazin! Ob dies bereits ein Indiz dafür ist, dass selbst die von Greenpeace von allem Anfang an gerittene strikte Ablehnung der Genetechnik in all ihren Spielarten gegenüber allmählich aufgeweicht werden könnte; ob damit der Allianz aus NGO’s, Politik und Bio die Speerspitze abhandenkommen könnte; ob ein allmähliches Umdenken damit bereits eingeläutet ist, wage ich einmal zu bezweifeln. Bemerkenswert und irgendwie irritierend ist für mich dieses Interview aber in jedem Fall.
Ich plädiere sehr stark für eine Case-by-case-Betrachtung und bin gegen eine generelle Verteufelung der neuen Gentechnik.
Herbe Kritik aus den eigenen Reihen
Nigglis häretischer Standpunkt als prominenter Bio-Repräsentant wurde erwartungsgemäß in der Szene teilweise heftig kritisisiert. Darauf von Greenpeace am Schluss des Interviews angesprochen, erwidert Niggli: „Die Einschätzungen sind nach wie vor sehr unterschiedlich. Ich unterstütze natürlich auch die Biozüchter, wo ich nur kann. Unser Institut investiert sehr viel Geld in die Biozüchtungsforschung, weil es wichtig ist, dass man sieht, welche Potenziale diese Alternative hat. Mich treiben aber die ökologischen Probleme der 91 Prozent konventionellen Bauern in Deutschland um. Und da muss man es aushalten, nicht immer linienkonform zu sein.“
Quo vadis Europäische Politik?
Es ist eine Frage von geradezu fundamentaler Bedeutung nicht nur, aber besonders für die Landwirtschaft, ob sich die europäische Anti-Gentechnik-Front von Forschern wie Urs Niggli zu einer strategischen Neuausrichtung bewegen lässt. Noch sind die politischen Signale unverändert ablehnend: Nach meinem Dafürhalten will man damit in erster Linie den längst auf Anti-Gentechnik getrimmten europäischen Konsumenten zumindest zum jetzigen Zeitpunkt nicht verunsichern. Es wäre ja auch von Politikern etwas viel verlangt plötzlich den Anti-Gentechnikzug zu bremsen und ihn auf andere Geleise zu lenken. Die Frage bleibt allerdings, ob uns „der Rest der Welt“, der längst auf diesen Gleisen unterwegs ist, nicht uneinholbar davon fährt…
Wer sich genauer darüber informieren will, warum die "alte Gentechnik" ins Kreuzfeuer der Kritik geraten ist, dem empfehle ich einen hervorragend recherechierten Artikel meines Kollegen Martin Pötz: