Mensch. Macht. Milch Teil 1
29.05.2016 / Landwirtschaft & Lebensmittelproduktion
Eine 8000 jährige Liebesgeschichte mit Bauchweh am Anfang
Mensch macht Milch? Wie fing das an? Wie war das früher, wie ist es heute und wie wird es morgen sein? In diesem Beitrag werde ich ein wenig durch die Geschichte der Milchproduktion und des menschlichen Konsums gehen. In einem zweiten Teil werde ich den österreichischen Sonderweg etwas unter die Lupe nehmen.
„Milchholengehen“ – das Wort gibt es vielleicht gar nicht mehr? Es gehörte zu meiner Kindheit in den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts. Milch war für mich, war für meine Familie, für die Nachbarschaft, die sich zum täglichen Milchholen beim Bauern ziemlich geschlossen einfand, etwas zum Angreifen. War selbstverständlicher täglicher Bestandteil der Ernährung. War unhinterfragt „gut“. Das ist heute wohl kaum noch der Fall. Was ist da passiert im Laufe der Zeit?
Dazu muss ich erst mal weit zurück, nämlich an die 8000 Jahre. Damals, so sagen allerneueste Forschungsergebnisse, hat es angefangen mit der Milch. Also dass der Mensch auf die Idee kam, tierische Milch zu trinken. Nicht überall und nicht sofort. Dafür extrem folgenreich im Laufe der Geschichte. Aber halt, nicht so schnell: Der Anfang dieser Beziehung Mensch-Milch ist nämlich so spannend, dass es sich lohnt, ihn ein bisschen genauer ins Auge zu nehmen.
Damals, vor 8000 Jahren hat es angefangen mit der Milch
Wer hat’s erfunden?
Nein, diesmal waren’s nicht die Schweizer, wie man vermuten könnte bei der Käse- und Schoki-Nation Nummer eins. Die ältesten nachweisbaren Spuren von Milchkonsum fand die Wissenschaft bislang im heutigen Raum Ungarn/Rumänien. Von dort aus verbreitete sich diese „Mode“ über den europäischen Kontinent. Möglich gemacht hat sie eine allmählich um sich greifende Genmutation im menschlichen Körper. Der war es zu verdanken, dass der Mensch kein böses Bauchweh mehr bekam beim Genuss des weißen Sekrets.
Ursprünglich nämlich waren alle Menschen das, was heute wieder zusehends „modern“ zu werden scheint, nämlich: laktoseintolerant. Laktose, Milchzucker konnte nicht beschwerdefrei verdaut werden. Ein Enzym, genannt Laktase, fehlte dazu. Dieses bekommt zwar jeder Säugling mit, damit er Muttermilch verträgt, die ebenfalls Milchzucker/Laktose enthält. Bis in die Jungsteinzeit hinein, eben bis vor ca. 8000 Jahren, baute der menschliche Körper in der Kindheit Laktase wieder ab. Nach dem Abstillen wurde es sozusagen überflüssig. Ohne Laktase aber geht Laktose im wahrsten Sinne des Wortes in die Hose.
Ursprünglich waren alle Menschen laktoseintolerant
Milch macht Europa?
Interessant ist nun die Tatsache, dass sich die Fähigkeit Milch zu verdauen gerade hier, in Europa, verbreitet hat. In anderen Erdteilen war und ist das nicht der Fall. Der Großteil der Asiaten und Afrikaner etwa ist bis heute laktoseintolerant. Dem Europäer aber hat die Milch unzweifelhaft viel gebracht: Nämlich nicht mehr und nicht weniger als seine Zivilisation, auf die wir heute alle so stolz sind. Die Forschung ist sich einig darüber, dass Milch und die damit zeitlich parallele „Erfindung der Landwirtschaft“ eine zentrale Voraussetzung für Sesshaftigkeit war.
Der Mensch der rauen europäischen Klimate hatte mit der Milch extrem energiereiche Nahrung für die kalte Jahreszeit zur Hand. Er konnte so allmählich vom nomadisierenden Jäger und Sammler zum Dörfer- und Städtebauer werden. Diese Annahme wird auch durch die Tatsache erhärtet, dass noch heute die Bewohner der nördlichsten, sprich rauesten Gegenden Europas am seltensten laktoseintolerant sind. Nur etwa 5% der Skandinavier haben dieses Problem mit der Milch, hingegen zwischen 10 und 15% der Mitteleuropäer und gar 35 bis 40 % der Südeuropäer.
Der Genuss von Milch und Milchprodukten kam also damals schön langsam auf. Über Mengen kann nur spekuliert werden. Sicher ist, dass es große regionale Unterschiede gab. Unterschiedliche historische Entwicklungen in der „Milchwirtschaft“. Interessant vielleicht auch, dass Milch in Zeiten großer Krankheitsepidemien als unverseuchtes Lebensmittel von überragender Bedeutung gewesen sein dürfte. Immer, wenn die Pest oder die Ruhr wütete und selbst das Wasser in den Brunnen nicht mehr getrunken werden konnte, war es die Milch, die neuerlich das Überleben in gewissen Regionen ermöglichte.
Dem Europäer hat die Milch zur Sesshaftigkeit verholfen
Milch wird zur Wirtschaft…
Von einer regelrechten Milchwirtschaft zu sprechen, macht dann aber doch erst ab ca. Anfang des 20. Jahrhunderts Sinn. Und dorthin spring ich jetzt auch. Inzwischen hat sich Milch über die ganze europäisch geprägte Welt verbreitet. In Nordamerika wird sie getrunken, ebenso wie in Australien und Neuseeland – alles ja „genetische Europäer“ und von daher großteils laktosetolerant. Seit damals wird Milch auch im großen Stil pasteurisiert, dadurch entkeimt und haltbarer gemacht. Bereits 1863 hatte Louis Pasteur, ein französischer Chemiker, dieses Verfahren entwickelt –ursprünglich übrigens für Wein.
Besonders die großen industrialisierten Ballungszentren entwickeln einen immensen Milch-Durst bzw. -Hunger – Milch galt und gilt eher als Lebensmittel denn als Getränk, aufgrund ihres Nährstoffreichtums. Jetzt gab es aber in den Städten kaum mehr Milchkühe und -Bauern. Und auch die Produktionsmengen in Stadtnähe reichten bei weitem nicht aus. Um die großen Städte mit Milch beliefern zu können, um den oft weiten Weg vom Land bis in die Stadt mit diesem so heiß begehrten wie hochverderblichen Lebensmittel bewerkstelligen zu können, wurde die „Molkerei“ erfunden. Molkereiwesen und Pasteurisierung gingen Hand in Hand das Problem der Milchversorgung der großen Städte an.
Milchtrinken einst und heute
In den hochindustrialisierten Staaten der westlichen Hemisphäre ist das Problem der Milchversorgung heute längst gelöst. Frankreich, Deutschland, Neuseeland, die USA produzieren längst weit mehr Milch als die heimische Bevölkerung konsumiert – übrigens auch Österreich, bei im Vergleich natürlich bescheidenen Mengen. Die internationalen Milchmärkte sind unter den großen Produzentenländern heiß umkämpft. China und Indien haben in den letzten Jahrzehnten so richtig Lust auf Milch bekommen. Wie sieht das aber bei uns aus. Wer trinkt heute noch Milch? Für das Milchtrinken gilt wohl ein bisschen dasselbe wie für das Milchholengehen. Es ist so ziemlich aus der Mode gekommen. Ehrlich gesagt, sehe auch ich mich kaum noch ein Glas Milch trinken. Meine Kinder ebenfalls nicht. Zu meinen Volksschul- und Gymnasialzeiten gab‘s die Schulmilchaktion. Die gibt es heute auch noch, wenngleich nicht mehr flächendeckend. Außerdem wird seit Jahren über ihr mögliches Ende diskutiert. Ich kann mich noch gut an den Viertelliter Kakao erinnern in der großen Pause und dann auf dieses sensationelle neue Produkt: die Vanillemilch. Aber irgendwann in der Oberstufe war das dann „out“. Heute trinke ich ab und zu ein Glas Milch oder Buttermilch, gieße mir täglich Milch in Kaffee und mein Müsli. Damit verhalte ich mich so ziemlich „durchschnittlich“. Der erwachsene Österreicher konsumiert seine knapp 80 Liter Trinkmilch pro Jahr ebenfalls hauptsächlich als Zutat zu Kaffee, Tee oder Cerealien zum Frühstück. Die Milch für Kinder verschwindet zusehends in Form von Milchpulver in diversen Snacks. Wo, außer in der Milchwerbung sieht man heute Kinder ein Glas reiner Milch trinken? Warum ist das dermaßen aus der Mode gekommen?
Für das Milchtrinken gilt wohl ein bisschen dasselbe wie für das Milchholengehen. Es ist so ziemlich aus der Mode gekommen.
Imageverlust durch übermächtige Konkurrenz, Unverträglichkeiten und veganes Milchbashing
Milch hat den Nimbus des reinen, unhinterfragt guten Naturprodukts einigermaßen verloren. Als Getränk ist es hinter Cola, Energydrinks und Co weit ins Hintertreffen geraten. Nicht weil es ungesünder wäre als diese Zucker- und Zusatzstoffbomben – ganz im Gegenteil, aber weil es imagemäßig keine Chance hat. Milchtrinken ist nicht cool. Außerdem macht die Kunde von diversen Unverträglichkeiten in den letzten Jahrzehnten zusehends die Runde. Laktose und Milcheiweiß können tatsächlich Unverträglichkeiten (Laktose) bis hin zu schweren allergischen Reaktionen (Milcheiweiß) auslösen. Wer sich hier nicht sicher ist, sollte dies jedenfalls medizinisch austesten lassen. Dazu kommt, dass die vegane Bewegung Milch wie jedes andere tierische Produkt als „unmoralisch“, weil zwangsläufig Tierleid produzierend und noch dazu als ungesund geißelt und entsprechende pflanzliche Ersatzprodukte propagiert. Soja- Reis- Hafer- „milch“ – in Österreich dürfen diese Produkte übrigens nicht als Milch bezeichnet werden. Die Frage, ob diese allerdings unter agrarindustriellen Bedingungen umweltfreundlicher produziert werden und auch „gesünder“ sind, würde ich tendenziell mit „Nein“ beantworten.
Milch hat den Nimbus des reinen Naturprodukts einigermaßen verloren. Cola, Energydrinks und Co setzen ihr schwer zu. Milchtrinken ist nicht cool.
All das zusammen macht der Milch das Leben schwer.
… auch in Österreich?
Ja, sicher auch in Österreich. Unser Land blickt auf eine lange Milchtradition zurück. Innerhalb dieser hat sich ein gewisser Sonderweg heraus kristallisiert. Im zweiten Teil gehe ich genauer auf die Vor- und Nachteile desselben ein. Und damit auch auf die Frage nach der Zukunftsfähigkeit der österreichischen Milchproduktion und warum dich das als Konsument interessieren könnte bzw. wie du diese direkt beeinflussen kannst.