Politisches Spiel um Erntearbeiter lässt Gemüse verfaulen

15.03.2019 / Landwirtschaft & Lebensmittelproduktion

Politisches Spiel: Erntearbeiter lässt Gemüse verfaulen

„Spiel mit den Bauern“, „Selbe Kacke in Grün wie letztes Jahr“, „Verhinderungspolitik“ – drastische Worte mit denen mir gestern ausgewiesene Insider die momentan sich gerade wieder mal zuspitzende Situation für die heimischen Obst- und Gemüsebauern geschildert haben. Was medial weitgehend unbemerkt bleibt, stellt sich mir nach drei ausgiebigen Telefonaten als reale Bedrohung der noch bestehenden Selbstversorgung mit Obst und Gemüse dar. Von der hohen Politik – scheinbar nichtsahnend fast könnte man vermuten blauäugig – in Kauf genommen. Stein des immer wiederkehrenden Anstoßes: Das streng limitierte Kontingent für Ernte- und Saisonarbeiter aus Nicht-EU-Staaten. 

Und ewig grüßt das Murmeltier, ist man geneigt zu sagen. Wie schon die letzten Jahre so auch heuer wieder – nur noch durch ein paar zusätzliche Aspekte in seiner Dringlichkeit verschärft – ertönt, von den meisten ungehört, ein Hilferuf unserer Obst- und Gemüsebauern: „Wir brauchen mehr Saisonarbeiter und Erntehelfer aus Drittstaaten sonst verfault uns das Zeug auf dem Feld oder wir können gar nicht erst anbauen!“

In nicht alltäglicher Eintracht mit unseren Bauern zeigen sich auch hochrangige Vertreter des Lebensmitteleinzelhandels besorgt. Was Bauern und Händler eint, ist die Befürchtung, dass eine bereits seit Jahren rückläufige Selbstversorgung mit Obst und Gemüse noch weiter ins Hintertreffen gerät. Auch der Handel ist auf Planungssicherheit angewiesen. Fehlt diese unverschuldetermaßen bei den heimischen Lieferanten, wird sich der Handel beim "sicheren Weltmarkt" bedienen, bevor er riskiert dieses oder jenes Obst oder Gemüse gar nicht anbieten zu können. 

Abgesehen vom ohnehin beinharten Preiskampf um Marktanteile gegen internationale Großkonzerne im Bereich Gemüse und Obst sind es also dezidiert politische Entscheidungen, die bei den Bauern Kopfschütteln und zunehmende Frustration hervorrufen. Einige haben bereits das Handtuch geworfen, viele denken laut darüber nach. Ein Bauer, der aus der logistisch und arbeitstechnisch so aufwendigen Obst- oder Gemüseproduktion aussteigt, steigt nie wieder ein. Wenn mit den nötigen Arbeitskräften die Planungssicherheit in diesem durchgetakteten Geschäftsfeld fehlt, dann sind auch junge Hofübernehmer zusehends weniger bereit sich diesem nervenraubenden Hazardspiel länger auszusetzen.  

 

Wir brauchen mehr Saisonarbeiter und Erntehelfer aus Drittstaaten sonst verfault uns das Zeug auf dem Feld oder wir können gar nicht erst anbauen!

Kurz zur Erklärung der dramatischen Situation:

Österreichs Obst- und Gemüsebauern sind wie praktisch weltweit alle ihre Kollegen auf fleißige Hände von Saisonarbeitern und Erntehelfern angewiesen. Jede Produktion von Spargel, Erdbeeren, Salaten, Gurken, Marillen, Äpfel, Wein und einer ganzen Reihe von anderen Kulturen, die mengenmäßig über den Hausgebrauch hinausgeht, basiert auf zusätzlicher manueller Arbeitskraft. Auch wenn viele Prozesse mittlerweile technisch unterstützt stattfinden. In Bio übrigens ist der Personalaufwand noch einmal höher, weil hier die chemischen Helferlein beim Pflanzenschutz nicht erlaubt sind. Jeder Hobbygärtner weiß, welche Arbeit hinter der erfolgreichen Ernte von Salat, Gurken, Erdbeeren und Co. steht. 

In Bio übrigens ist der Personalaufwand noch einmal höher, weil hier die chemischen Helferlein beim Pflanzenschutz nicht erlaubt sind

Polen und Rumänen bleiben zu Hause oder gehen nach Deutschland

Traditionell waren es in Österreich je nach Region Saisonniers hauptsächlich aus Ländern wie Polen und Rumänien, weniger häufig aus Ungarn, der Slowakei und Slowenien. Aber die Verfügbarkeit dieser Arbeitskräfte ist seit dem EU-Beitritt all dieser Länder kontinuierlich im Rückgang. Polen beispielsweise mausert sich seit Jahren zu einem landwirtschaftlichen Schwergewicht innerhalb der EU, das mittlerweile selbst über eine Million ausländische landwirtschaftliche Hilfskräfte aus Nicht-EU-Staaten, vor allem der Ukraine aber auch aus Indien, vom Arbeitsmarkt abzieht.

Seit letztem Jahr hat sich zudem Deutschland durch die Einführung eines Mindestlohnes als attraktives Land etabliert. Bauern berichten mir, dass langjährige Saisonarbeiter plötzlich einen Bogen um Österreich machen und bei deutschen Kollegen anheuern. Wer könnte es ihnen verdenken? Der deutsche Bauer zahlt zwar weniger Brutto, den Arbeitern aber bleibt mehr Netto aufgrund anderer sozialrechtlicher Rahmenbedingungen. Ein klarer Wettbewerbsnachteil für den heimischen Bauern.

Nicht „Einzelkämpfer“ sondern ganze Partien werden häufig angeheuert

 

Bleiben Arbeiter aus Drittstaaten, wie der Ukraine oder auch Moldawien. Deren Zahl aber wird jedes Jahr aufs Neue streng kontingentiert*. Vom zuständigen Sozialministerium. Für heuer wurde eine Quote von 2.610 Saisonniers und 275 Erntehelfern aus Nicht-EU-Ländern festgelegt. In einem inoffiziellen Topf, der unterjährig im Notfall geöffnet werden könnte, befinden sich – laut meinen Informanten – noch einmal 500 Arbeitskräfte. 500 „Notfall-Drittstaatler“ wurden letztes Jahr aufgrund der Borkenkäferproblematik im Herbst freigegeben. Zu spät wie meine von mir befragten Insider unisono meinen und erst nach einem unwürdigen Hinhalten vonseiten der Politik und Bitten und Betteln vonseiten der Bauern. Und heuer scheint sich diese Hinhaltetaktik zu wiederholen. Obwohl alle Experten sagen, dass diese 500 für den Notfall aufgesparten Arbeitskräfte jetzt schon freigegeben werden müssten, weil der Notfall bereits absehbar bzw. schon da ist. Bärlauch etwa – wie ich von einem Händler höre – ist aus heimischer Produktion obwohl österreichweit nachgefragt zurzeit gar nicht zu haben. Spargel, Erdbeeren und Salate stehen in den Ernte-Startlöchern – auch hier drohen wie schon im Vorjahr Ernten auf den Feldern zu bleiben aufgrund fehlender Hände…

Kann das politisch gewollt sein, frage ich mich? 

Was sagt die zuständige Ministerin dazu?

Sozialministerin Hartinger Klein wird auf Standard online wie folgt zitiert: „Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht muss aber grundsätzlich danach getrachtet werden, auch in der Landwirtschaft vorrangig das im Inland verfügbare Arbeitskräftepotenzial einzusetzen und zusätzliche drittstaatsangehörige Arbeitskräfte im Rahmen von Saisonkontingenten nur im erforderlichen Mindestmaß zuzulassen". Mitgemeint sind dabei die rund 33.000 arbeitslosen anerkannten Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte. Zusammen mit österreichischen Langzeitarbeitslosen sollen sie also unseren Obst- und Gemüsebauern an die Hand gehen.

 

Heimische Langzeitarbeistlose auf dem berühmten "Gurkerlflieger"? Kaum vorstellbar...

Wie realitätsfremd diese angebotene Alternative ist, zeigt schön der Fall eines Steirischen Gemüsebauern, wie ihn dieser mir am Telefon schildert. Von 18 vom AMS an ihn in den letzten Monaten vermittelten Personen – hauptsächlich Österreicher – habe sich letztlich nicht eine einzige als qualifiziert erwiesen. Obwohl er betont, dass in seinem Betreib noch lange nicht von wirklich schwerer körperlicher Arbeit die Rede sein kann. Auch habe er sich persönlich sehr bemüht für ein angenehmes Arbeitsklima zu sorgen. Dort, wo sein Betreib angesiedelt ist, herrsche zudem praktisch Vollbeschäftigung und das einst vorhandene Asylantenheim habe sich mittlerweile geleert.

Von 18 vom AMS an ihn in den letzten Monaten vermittelten Personen – hauptsächlich Österreicher – habe sich letztlich nicht eine einzige als qualifiziert erwiesen

Warum nicht praxistauglich?

Wer sich einmal auch nur oberflächlich mit der Art von Arbeit beschäftigt hat, die heute von Saisonniers und Erntehelfern geleistet wird, der wird sich auch eines voreiligen abfälligen Pauschalurteils über die „faulen Langzeitarbeitslosen“ und „nicht integrationswilligen Asylsanten“ enthalten. Abgesehen von der oft körperlich fordernden Arbeit ist es eine hochorganisierte Tätigkeit, die im Obst- und Gemüsebau gefordert wird. Nicht „Einzelkämpfer“ sondern ganze Partien werden häufig angeheuert. Junge Paare oft, Väter und Söhne, Geschwister – damit die lange Saison im Ausland ganz einfach auch sozial verträglicher wird. Klar, dass es dann für einen Österreicher oder auch für einen Asylberechtigten nicht einfach ist, sich in diesem System zurechtzufinden abgesehen von der schweren, zeitlich befristeten und vergleichsweise mäßig bezahlten Arbeit.

Alle meine Informanten betonen dabei, dass man sehr wohl bemüht ist, die Anstrengungen vonseiten des AMS zu unterstützen. In Einzelfällen funktioniere diese Zusammenarbeit auch. Aber kurz- bis mittelfristig sei dieser Pool keinesfalls als Alternative für das Drittstaatenkontingent geeignet, wie die Sozialministerin es darstellt. Im Gegenteil werden alle langfristigen Bemühungen, Langzeitarbeitslose und Asylberechtigte in der Landwirtschaft unterzubringen von einem kurzfristig scheinbar diesem Ziel dienenden Stopp von Drittstaatlern torpediert. Denn, wenn keine Obst- und Gemüsebauern mehr übrig sind, weil JETZT dringend helfende Hände verweigert werden, dann kann man dort in 10 bis 20 Jahren auch niemanden mehr hin vermitteln…  

Ein Bauer, der aus der logistisch und arbeitstechnisch so aufwendigen Obst- oder Gemüseproduktion aussteigt, steigt nie wieder ein

* Das Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz erlässt jedes Jahr Verordnungen, die zahlenmäßige Kontingente für die zeitlich befristete Zulassung von Saisoniers in der Land- und Forstwirtschaft sowie die kurzfristige Zulassung ausländischer Erntehelfer aus Nicht EU-Staaten regeln.