Schwein: eine Frage der Haltung
12.05.2022 / Landwirtschaft & Lebensmittelproduktion
Die Situation der Schweinebranche wirkt festgefahren: Der gesellschaftliche Druck wächst, doch die Bäuerinnen und Bauern können diesem kaum gerecht werden, ohne an Rentabilität einzubüßen. Dabei sei es allerhöchste Zeit, die Schweinewirtschaft von Grund auf neu zu denken, sagt Eduard Zentner, Leiter der Abteilung Tierhaltungssysteme, Technik und Emissionen an der HBLFA Raumberg-Gumpenstein. Die gute Nachricht: Es gibt vielversprechende Konzepte. Alternative Eiweißträger, neue Stallsysteme und andere Schweinerassen können dazu beitragen, Herausforderungen wie die hohe Emissionsbelastung zu lösen – und dabei gleichzeitig Tierwohl fördern. Im Interview erklärt Eduard Zentner, warum es dazu die Zusammenarbeit von Vieh- und Pflanzenbauern, von Klimatologen und Politikern braucht und warum es für Österreichs Schweinewirtschaft nur einen Weg gibt: Klasse statt Masse.
Hannes Royer: Warum forscht man überhaupt im Bereich der Schweinehaltung?
Eduard Zentner: Tiergesundheit, Baugenehmigungen von Ställen oder die Lösung von Problemen mit Anrainern sind zentrale Themen unserer Forschungsarbeit. Eine der aktuell größten Fragestellungen – auch mit einer Vorgabe aus Brüssel – dreht sich um Ammoniak in der Landwirtschaft.
Royer: Ammoniak ist ja das, was man riecht, um es kurz für einen Laien zu erklären. Wer schon einmal in der Nähe eines Schweinestalls war, wird wahrscheinlich sagen, es stinkt.
Zentner: So ist es. Ammoniak ist das Leitgas der Landwirtschaft und das, was sich in erster Linie über das Riechorgan wahrgenommen wird. Das ist aber nicht alles. Ammoniak kann auch eine massive Auswirkung auf die Tiergesundheit haben. Den Ausschlag für den Bau des Forschungsstalles hat zunächst aber etwas anderes gegeben, nämlich die Feinstaubdiskussion. Sekundärer Feinstaub hat seinen Ursprung zu einem guten Teil in der Landwirtschaft, bedingt durch die Ammoniakemissionen aus der Tierhaltung. Um herauszufinden, durch welche Maßnahmen dieser Feinstaub reduziert werden kann, haben wir den Forschungsstall mit drei Abluftreinigungsanlagen ausgestattet. Mein Ansatz ist allerdings immer: Wenn ich im Kontext der Schweinehaltung etwas verbessern möchte, dann muss ich beim Tier ansetzen. Von den drei Abluftreinigungsanlagen profitieren aber nicht die Tiere.
Royer: Durch die Abluftreinigung stinkt es also draußen nicht mehr, für die Schweine im Stall ändert sich aber nichts?
Zentner: Richtig. Deshalb haben wir nach Abschluss der Untersuchung damit begonnen, an emissionsmindernden Maßnahmen direkt im Tierbereich zu arbeiten. Hier gibt es ebenfalls ein irrsinnig großes Potenzial.
Royer: Wie wird ein Schwein in Österreich gefüttert?
Zentner: In der Regel bekommt ein Schwein ausschließlich Getreide, Hauptkomponente ist Mais.
Royer: Da ist ja häufig auch Soja aus Übersee als Eiweißkomponente dabei…
Zentner: Das ist ein Bestandteil, der uns Kopfzerbrechen bereitet. Und zwar nicht nur in Hinblick auf die Rodungen, die für die Sojaproduktion stattfinden, sondern auch, weil das Schwein Soja nur zu etwa einem Drittel im Körper umsetzen kann. Die restlichen zwei Drittel werden über Kot und Harn ausgeschieden und sobald diese in der Gülle aufeinandertreffen, entsteht Ammoniak. Soja ist damit auch ein großer Emissionstreiber.
Royer: Gibt es hier keine Alternativen?
Zentner: Wir haben einmal im Mastgeflügelbereich versucht, Soja durch ActiProt zu ersetzen, ein Nebenprodukt aus der Bioethanolerzeugung. Sie werden es nicht für möglich halten, aber der Ammoniakanteil ist bereits im ersten Durchgang um 40 Prozent gesunken – und das bei gleichbleibender Gewichtszunahme der Tiere. Alternative Eiweißträger gäbe es in Europa also mit Sicherheit zur Genüge, für deren Verwendung braucht es allerdings vorher eingehende Untersuchungen.
Royer: Und warum tun wir das nicht?
Zentner: Weil es in Österreich keine wissenschaftliche Zusammenschau über die Disziplinen hinweg gibt. Das wäre, glaube ich, der wichtigste Ansatz überhaupt. Es ist dringend notwendig – und das kann nur ein politischer Auftrag werden –, dass sich die Pflanzen- und Ackerbauern mit den Tierhaltern an einen Tisch setzen. In der Folge muss sich der Umweltbereich, die Klimatologen, ebenfalls zu diesem Kreis gesellen. Dann werden wir neue Konzepte entwickeln, die auf einmal Probleme auflösen, über die wir schon lange diskutieren. Wir gehen davon aus, dass sich viele Dinge nicht ausschließen, sondern im Gegenteil, durchaus ergänzen.
Royer: Dann wird also einfach zu wenig geredet zwischen den einzelnen Disziplinen?
Zentner: Das muss man leider so stehenlassen. Es gibt viele Spezialisten in den Einzeldisziplinen, aber was uns fehlt, sind durchgängige Synergien. Bei den neuen Stallungen, die wir planen und untersuchen, versuchen wir, alle Disziplinen miteinzubeziehen. Das gelingt uns mittlerweile ganz gut. Vor zehn Jahren wäre es undenkbar gewesen, einen Tierwohlstall auch nur annähernd in der Nähe eines Wohngebietes zu bauen. Tierwohlställe sind durch die Daten, die uns bislang aus der Wissenschaft bekannt waren, extrem negativ behaftet – vor allem wegen des Ammoniakgeruchs, der durch den Auslauf in der Umgebung entsteht. Jetzt gibt es völlig neue Erkenntnisse: Tierwohlställe können so konzipiert werden, dass sie nicht mehr emittieren als ein herkömmlicher Stall mit integrierter Abluftreinigung.
Royer: Um wieviel weniger Emissionen hat dann so ein Stall?
Zentner: Das EU-Projekt ist noch nicht abgeschlossen, aber aufgrund der ersten Ergebnisse gehen wir davon aus, dass derartige Stallsysteme um 80 Prozent weniger emittieren als ein Vollspalten-Warmstall.
Royer: Wie reagiert die Schweinebranche auf diese Ergebnisse? Wir haben ja kaum Neubauten in Österreich, denn keiner weiß mehr, wie es weitergeht. Die Schweinebäuerinnen und Schweinebauern müssen ja Schlange stehen bei Ihnen.
Zentner: Das Interesse aus der Praxis ist da. Die Standesvertretung wäre aus meiner Sicht eine schlechte, wenn sie nicht skeptisch wäre und die Ergebnisse nicht abwarten würde. Da geht es dann natürlich auch um die Frage nach den Förderungen derartiger Stallsysteme. Ohne Selbstvermarktung und ohne angepasste Fördermaßnahmen wird man diese nicht stemmen können. Solche neuen Haltungssysteme sind zwar von der Gesellschaft und auch vom Handel gewünscht, sie implizieren aber auch eine völlig neue Preissituation. Bei meinem letzten Besuch in der Schweiz war das Schweinefleisch an diesem Tag dreimal so teuer wie in Österreich. Da kann ich teure Tierwohlstallungen bauen. In Österreich ist das momentan sehr schwierig, steigende Baupreise tragen das übrige bei.
Royer: Sollte Fleisch nicht einfach teurer sein? Dann hätten wir Tierwohl, lösten viele klimatechnische Fragen und der Bauer hätte auch ein einfacheres Leben. Das ist jetzt natürlich stark vereinfacht ausgedrückt, aber momentan profitiert nicht der Bauer, nicht das Tier, nicht das Land.
Zentner: Und auch nicht die Umwelt, das muss man immer im Fokus haben. Denn in Österreich ist die Umwelt im Wesentlichen die Landwirtschaft, und wenn man die sinkenden Zahlen der Höfe in diesem Sektor betrachtet, muss man in Zukunft wirklich aufpassen, wo die Reise hingeht. Wenn wir weiterhin versuchen, uns am Weltmarkt zu etablieren, dann werden wir vermutlich scheitern. In unserer Kleinstrukturiertheit haben wir aber auch riesige Chancen, nämlich in der Qualität der Produktion und des Produkts, das würden unsere Landwirte locker schaffen. Dafür muss sich aber an der Preissituation etwas ändern, denn sonst wird Tierwohl nicht die breite Masse werden.
Royer: Was gilt es also zu tun?
Zentner: Wir müssen uns hier politisch, seitens der Standesvertretung und der Landwirtschaft, aber auch seitens der Konsumentinnen und Konsumenten wirklich gut aufstellen. Und das bald, sonst werden wir eventuell oft gar nicht mehr die Möglichkeit haben, zu heimischem Schweinefleisch zu greifen. Auch sollten wir uns über neue Produkte, die Genetik und Fütterungskonzepte unterhalten. Momentan haben wir es noch in der Hand. Wenn wir hier aber nicht geschlossen vorgehen und entsprechende Konzepte – fördertechnisch, aber auch in Hinblick auf Bau und Haltung – entwickeln, wird das vielfach nicht mehr der Fall sein.