Was jeder Griff ins Regal bewirkt

Was kannst also du als Einzelperson tun? Zuallererst kannst du dir bewusst machen, dass du mit jedem Griff ins Regal einen Produktionsauftrag erteilst. Sind dir etwa faire Arbeitsbedingungen oder Tierwohl wichtig, kannst du zu genau diesen Lebensmitteln greifen. Erst dann werden fair und nach Tierwohlkriterien produzierte Produkte auch weiterhin produziert und wieder ins Regal gelegt. So gestaltest du mit deiner täglichen Einkaufsentscheidung aktiv mit, zu welchen Produktionsbedingungen Lebensmittel hergestellt werden und ob wir uns auch in Zukunft mit regionalen Lebensmitteln versorgen können. Darüber hinaus haben unser aller und damit auch deine Einkaufs- und Ernährungsentscheidungen weitreichenden Einfluss auf das Klima, die heimische Wertschöpfung und die Erhaltung unseres Lebensraums.

Regional und saisonal vs. Import: Was ist der „unsichtbare Rucksack“?

Was Obst und Gemüse betrifft, bringt Saisonalität einen gewichtigen Aspekt ins Spiel. Tomaten sind im Freiland unter mitteleuropäischen Bedingungen von Juli bis Oktober reif, durch beheizte Glashäuser kann die Saison aber um sechs Monate – von März bis Dezember – verlängert werden. In den kalten Monaten kostet das nicht nur viel Energie, sondern führt auch zu einem hohen CO2-Ausstoß (abhängig von der Energiequelle). Weit mehr sogar, als die gleiche Menge importierter Freilandtomaten aus Spanien verursachen würden. Den kleinsten CO2-Fußabdruck hat die Tomate aus der Region und während der Saison, einen besonders großen jene, die außerhalb der Saison in Gewächshäusern produziert wird, welche unter hohem Einsatz von Energie aus nicht erneuerbaren Quellen beheizt werden.

Auch bei tierischen Lebensmitteln haben heimische Produkte Besonderheiten zu bieten. So verursacht die Produktion von Rindfleisch, Milch und Eiern laut einer Studie von Leip et al., in der die Klimawirkung pro Kilogramm Lebensmittel in den einzelnen EU-Ländern verglichen wird, in Österreich den geringsten CO2-Ausstoß. Bei Geflügel erreicht die heimische Landwirtschaft hinter Irland den zweiten Platz und bei Schweinefleisch den dritten, was niedrige CO2-Mengen betrifft. Neben dem Transport sind vor allem unsere Produktionsstandards, wie eine grünlandgebundene Landwirtschaft mit Zweinutzungsrassen, ein hoher Selbstversorgungsgrad mit Tierfutter sowie die effiziente Produktion, ursächlich für das Erreichen dieser Werte.

Mit dem Import von Gemüse und Obst – wie Tomaten, Gurken oder Erdbeeren – werden auch Nährstoffe und Wasser importiert. Die Gurke etwa besteht zu über 95 Prozent aus Wasser und wird oft aus Ländern eingeführt, in denen ohnehin Wasserknappheit herrscht, wie beispielsweise Spanien. In Österreich „fließen“ hingegen etwa vier Prozent des gesamten Wasserbedarfs, der rein mit dem Grundwasser nachhaltig gedeckt werden kann, in die Landwirtschaft. Auch die Produktions- und Arbeitsbedingungen, die in einem Land vorherrschen, landen mit importiertem Obst und Gemüse in deinem Einkaufswagen. So wird es nicht selten zu Arbeitsbedingungen produziert, die in Österreich strenger geregelt und kontrolliert werden.

In vielen Fällen strenger reguliert und kontrolliert ist hierzulande auch der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. In vielen Ländern weltweit werden Obst und Gemüse unter Verwendung von Pflanzenschutzmitteln hergestellt, die in Österreich nicht zugelassen sind oder deren Ausbringung keinen vergleichbaren Kontrollen unterliegen.

Wer in eine heimische, saisonale Freilanderdbeere oder Tomate beißt, nimmt auch schnell den Unterschied zwischen reif geerntetem Obst und Gemüse und solchem wahr, das einen weiten Weg zu uns zurücklegen musste. Wenn Pflanzen reif geerntet werden, bringen sie neben dem Geschmack auch einen höheren Nährstoff- und Vitamingehalt mit, was durch kurze Transportwege leichter möglich ist.

Welchen Beitrag leisten die heimischen Produktionsstandards für Umwelt und Tierwohl?

Ein Grund für die vergleichsweise guten Klima- und Umweltwerte der heimischen Landwirtschaft sind die in Österreich etablierten Maßnahmen und Standards.

So nehmen etwa rund 85 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe am Österreichischen Programm zur Förderung einer umweltgerechten, extensiven und den natürlichen Lebensraum schützenden Landwirtschaft (kurz: ÖPUL) teil. Neben der „umweltgerechten Bewirtschaftung“ und der „bodennahen Gülleausbringung“ fällt unter anderem auch die Maßnahme der „biologischen Wirtschaftsweise“ darunter.

Auch außerhalb der biologischen Landwirtschaft zeigt sich Österreich – gemeinsam mit Schweden, den Niederlanden und Dänemark – als Vorreiter in der EU und sogar auf der Welt: Bei der Nutztierhaltung weist der internationale „Animal Protection Index“ als Kennziffer eines Projekts, das sich für den Welttierschutz und seine Verbesserung einsetzt, nur diesen Ländern die höchstvergebene Note B innerhalb einer Skala von A bis G aus. Hier punkten wir beispielsweise bei der gesetzlich vorgeschriebenen, geringeren Besatzdichte bei Geflügel, da den Tieren im Vergleich mit den anderen gelisteten Ländern bildhaft gesprochen mehr Luft, Licht und Platz zur Verfügung stehen.

Was hat Versorgungssicherheit mit Unabhängigkeit zu tun?

Mit ihrer oftmals standortgerechten Wirtschaftsweise kann die österreichische Landwirtschaft den Nahrungsmittelverbrauch der heimischen Bevölkerung theoretisch decken – zumindest, was den Kalorienbedarf betrifft. Die Umrechnung der gesamten pflanzlichen und tierischen Lebensmittel in so genannte Getreideeinheiten zeigt, dass unser Verbrauch durch die Produktion gedeckt ist. Dafür sorgen rund 120.000 Voll-Arbeitskräfte in der österreichischen Landwirtschaft. Im Schnitt versorgt jede und jeder einzelne heute 99 Menschen mit Lebensmitteln. Auf die Menge bezogen können wir so vor allem unseren Bedarf an Milch, Rind- und Schweinefleisch decken. Auch mit Getreide, Eiern und Kartoffeln können wir uns annähernd selbst versorgen. Unseren Obst- und Gemüsebedarf können wir etwa zur Hälfte mit der eigenen Erzeugung decken. Hier muss deshalb – insbesondere für die Nachfrage außerhalb der Saison – vermehrt auf Importe zurückgegriffen werden.

Unsere Lebensmittelproduktion gewährleistet aber nicht nur unsere Unabhängigkeit und die Deckung des individuellen Energiebedarfs. Sie ist auch ein direktes Abbild unserer Werte, denn nur bei regionalen, und damit heimischen Lebensmitteln können wir die Produktionsbedingungen direkt selbst beeinflussen.

Von Menschen für Menschen: Wie schaffen wir Wertschöpfung?

Etwa 93 Prozent der Betriebe in Österreich sind laut Definition der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der vereinten Nationen (FAO) Familienbetriebe. Hier werden mehr als 50 Prozent der Arbeitskraft durch Familienangehörige gestellt. Familienbetriebe bearbeiten rund 85 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Vor allem im Rahmen anfallender Erntearbeiten spielen ausländische Facharbeitskräfte eine wichtige Rolle. Laut Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft sind jährlich etwa 15.000 Menschen zusätzlich in der Landwirtschaft im Einsatz.

In Österreich sind die arbeitsrechtlichen Bedingungen der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft im Landarbeitsgesetz 2021 sowie in den jeweilig anzuwendenden Kollektivverträgen je nach Bundesland und Betriebsart festgelegt. Hier sind darüber hinaus Sonderzahlungen in Form eines 13. und 14. Entgelts verankert. Damit liegt Österreich in Bezug auf die Bruttolöhne je vertraglicher Arbeitsstunde im Vergleich mit der Schweiz, Deutschland, Italien, Spanien, Polen und Ungarn an dritter, beziehungsweise zweiter Stelle. Das geht aus einer Studie des sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituts KMU Forschung Austria aus dem Jahr 2022 hervor.

Eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts zu den Wertschöpfungsketten von Agrargütern und Lebensmitteln in Österreich zeigt die Auswirkungen von Importen und Exporten in Zahlen. So führt eine einprozentige Verringerung der Importe zu einer zusätzlichen Wertschöpfung von rund 140 Millionen Euro sowie einer Beschäftigung für weitere 3.100 Personen. Gleiches gilt umgekehrt. Wer zu österreichischen Produkten greift, unterstützt damit also das Bestehen heimischer Betriebe und Arbeitsplätze.  So erwirtschaftete die Landwirtschaft in Österreich 2022 etwas über vier Milliarden Euro und stellt damit knapp ein Prozent des jährlichen Bruttoinlandprodukts. Im Jahr 1995 lag dieser Wert laut Statistik Austria bei 1,7 Prozent.

Viel mehr als nur Urlaub: Warum sind Landwirtschaft und Tourismus untrennbar miteinander verbunden?

Brauner Ochse auf der Weide | © Land schafft Leben

Der Tourismus trägt rund 6,8 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Neben den weltweit lebenswertesten und historischen Städten ist es Österreichs Landschaft, die Touristinnen und Touristen aus dem In- und Ausland anzieht – insbesondere die Bergregionen mit ihren Almen. Etwa 8.000 gibt es in Österreich, die meisten davon in Tirol. Sie bieten mehr als 300.000 Rindern den Sommer über frisches Gras und Kräuter als Nahrung. Gemeinsam mit etwa 125.000 Schafen und Ziegen halten Kühe diese Regionen von Verbuschung und Verwaldung frei. So wird dieser Lebensraum für uns Menschen in der Freizeit oder im Urlaub zugänglich und erlebbar. Gleichzeitig fördert die extensive Bewirtschaftung in Höhenlagen die Artenvielfalt. Extensive Landwirtschaft findet man auch in anderen Teilen Österreichs, wie in der Pannonischen Tiefebene im Osten, wo neben Graurindern auch Wasserbüffel grasen.

„Ganz nebenbei“ liefern diese Tiere Milch und Fleisch, die gemeinsam mit anderen Lebensmitteln aus heimischer Erzeugung zu regionalen Lebensmitteln veredelt werden. Etwa zu Käse, der sich auch im internationalen Vergleich sehen lassen kann. Die Anzahl der Betriebe, die hinter diesen Erzeugnissen, den Nutztieren und der Land- und Forstwirtschaft stehen, verringerte sich im Zeitraum 1951-2020 um rund 64 Prozent. Heute sind noch rund drei Prozent der Österreicherinnen und Österreicher in der Land- und Forstwirtschaft tätig. Gleichzeitig wächst der Anteil der Menschen, die in Städten wohnen und denen der direkte Bezug zur Landwirtschaft und damit das Wissen darüber, wie Lebensmittel produziert werden, fehlen.

Was mehr Bewusstsein und Wertschätzung für heimische Lebensmittel bewirken

Projekte wie die Cityfarm, das Welttellerfeld, aber auch Urlaub am Bauernhof helfen mit, dem entgegenzuwirken. Auf mehreren tausend Betrieben kann Letzterer genossen werden. Unter anderem Initiativen wie diesen ist es zu verdanken, dass in einer Umfrage 94 Prozent der Befragten angeben, die heimische Landwirtschaft als positiv bis sehr positiv wahrzunehmen. Dass eine funktionierende Landwirtschaft ein wesentlicher Faktor für unsere Lebensqualität sowie den Tourismus im Land ist und darüber hinaus einen wichtigen Bestandteil der österreichischen Kultur bildet, ist den meisten Menschen nach eigenen Angaben bewusst. Um unsere Landwirtschaft zu erhalten, können wir unseren Lebensmittelkonsum entsprechend ausrichten.

Verglichen mit den an Österreich angrenzenden Ländern weisen die heimischen Regale einen besonders hohen Anteil regionaler Lebensmittel auf – das zeigt eine Untersuchung der GAW Wirtschaftsforschung im Auftrag des Handelsverbands: Durchschnittlich werden rund 84 Prozent der Nachfrage in den Lebensmittelkategorien Fleisch, Milch, Eier, Brot und Gemüse durch die heimische Produktion gedeckt. Nahezu ausschließlich österreichische Erzeugnisse gibt es bei Milch, gefolgt von Brot und Eiern. In verarbeiteten Produkten sind Letztere oft ausländischen Ursprungs, während der Handel bei einzelnen Eiern nur Ware aus Österreich zum Verkauf anbietet. Gemüse, das hierzulande angebaut wurde, macht 84 Prozent des Angebots aus, während heimisches Fleisch innerhalb der ausgewählten Lebensmittelkategorien die geringsten Anteile aufweist. Bei Rindfleisch beispielsweise liegt unser Selbstversorgungsgrad bei 144 Prozent – dennoch decken wir nur 67 Prozent unseres Bedarfs an diesem Lebensmittel mit heimischen Produkten. Dass theoretisch genügend produziert wird, um die Nachfrage der Österreicherinnen und Österreicher zu decken, bedeutet also nicht, dass wir diese Lebensmittel auch hier konsumieren. So liegt die Nachfrage nach Edelteilen über der aus heimischer Produktion verfügbaren Menge, während es für manche anderen Teile eines Tieres hierzulande keinen Bedarf gibt, weshalb sie exportiert werden. Darüber hinaus umfasst das Lebensmittelangebot in Österreich auch Artikel, die aus Ländern kommen, die billiger produzieren. So landen viele Produkte auf unseren Tellern, die in der heimischen Landwirtschaft nicht zu denselben Preisen und unter denselben Bedingungen hergestellt werden, wie es im Ausland der Fall ist.

Umso mehr sollte uns die Macht unseres Griffs ins Regal bei jedem Einkauf bewusst sein: Mit ihm können wir Angebot und Nachfrage steuern und über die Produktionsbedingungen – wie etwa Tierwohl, Pflanzenschutz oder Arbeitsbedingungen – mitentscheiden, aber auch darüber, welche Lebensmittel und -mengen hierzulande erzeugt werden. Sind wir mit den Herstellungsbedingungen für ein bestimmtes Lebensmittel einmal nicht einverstanden und lassen es im Regal liegen, wird es über kurz oder lang auch nicht mehr nachbestellt. Es liegt also in unserer Hand – und im übertragenen Sinne in unserem Einkaufswagen und auf unserem Teller – wie die Lebensmittelproduktion in Österreich von heute aussieht und wie sie in Zukunft aussehen wird.