Verschwindende Wälder und Moore: der unterschätzte Faktor Landnutzung
- Von Landnutzungsänderungen spricht man, wenn zum Beispiel Wälder gerodet, Moore trockengelegt oder Grünland umgebrochen wird, wodurch wertvolle Kohlenstoffspeicher verlorengehen.
- Der Zweck von Landnutzungsänderungen liegt vor allem in der Neugewinnung von Agrarland; da Äcker in der Natur nicht vorkommen, basiert die Landwirtschaft überall auf der Welt auf Landnutzungsänderungen; auch in Österreich wurden einst großflächig Naturwälder gerodet, um Siedlungsflächen sowie Acker- und Weideland zu gewinnen.
- Laut IPCC waren Landnutzungsänderungen im Jahr 2019 für 11 Prozent der globalen menschengemachten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich; betrachtet man allein den Sektor „Landwirtschaft, Forstwirtschaft und sonstige Landnutzung“ (AFOLU), dann fallen 51 Prozent dieser Emissionen auf Landnutzungsänderungen.
- Zur Vergrößerung der Produktionsmenge gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Steigerung des Ertrags auf gegebener Fläche oder Ausweitung der bewirtschafteten Fläche.
- Je besser der Ertrag pro Flächeneinheit, desto geringer ist der Landbedarf zur Produktion einer bestimmten Menge Lebensmittel; ein geringerer Landbedarf reduziert den Druck, durch weitere Landnutzungsänderungen mehr Agrarfläche zu gewinnen und dadurch zusätzliche CO2-Emissionen zu verursachen; gleichzeitig führt eine intensivere und somit ertragreichere Bewirtschaftung auf den betreffenden Flächen zu höheren Treibhausgasemissionen, etwa durch Dünger, und einer geringeren Artenvielfalt im Vergleich zu einer weniger intensiven Produktionsweise; diesen Zielkonflikt auszutarieren, kann als eine der zentralen Herausforderungen der Landwirtschaft betrachtet werden.
- Für die Fütterung von Wiederkäuern (Rind, Schaf, Ziege) wird vor allem Grünland (Gras) genutzt, für Hühner und Schweine ausschließlich Ackerland (Getreide, Soja, usw.); diese Unterscheidung ist wichtig: Zwar brauchen Wiederkäuer mehr Fläche, gleichzeitig stehen sie weniger in Nahrungskonkurrenz zum Menschen und helfen an vielen Orten, artenreiches Grünland zu erhalten, sprich die Ausbreitung von Wald zu verhindern. Was daraus zu schließen ist, wird in der Wissenschaft nicht immer einheitlich beantwortet.
- Aufgrund der Bedeutung von Landnutzungsänderungen legt der Weltklimarat in seinem Synthesebericht 2023 unter anderem eine „nachhaltige landwirtschaftliche Intensivierung" nahe; diese könne „Flächen für Aufforstung und Ökosystemrestaurierung freisetzen“.
- Lebensmittelverschwendung zu reduzieren, kann den Druck auf Landflächen verringern; genau wie der Verzicht auf Produkte, die mit Regenwaldrodungen und anderen Landnutzungsänderungen in Verbindung stehen
Das findest du in diesem Kapitel
- Was genau bedeutet Landnutzungsänderung?
- Verschwindende Wälder: Was genau ist das Problem?
- Vom Wert des Grünlands
- Moore als hidden Champions
- Höhere Erträge oder mehr Anbaufläche - die zwei Möglichkeiten der Produktionssteigerung
- Der Beitrag der Landnutzung zum Klimawandel
- Landnutzung als wichtigster Faktor für Biodiversität
- Landnutzung in Ökobilanzen
- Wie Österreich die globale Landnutzung beeinflusst
- Das Landnutzungsproblem und die Schlussfolgerungen
- IPCC: Steigende Lebensmittelpreise fördern die Entwaldung
- Pflanzen für den Teller und Pflanzen für den Trog
- Land teilen oder Land sparen?
- Welches Fleisch beansprucht weniger Ressourcen: Huhn, Schwein oder Rind?
Es gibt einen äußerst bedeutsamen Zusammenhang zwischen der landwirtschaftlichen Produktion und dem Klima – der bei der Ökobilanzierung von Lebensmitteln nicht immer in vollem Umfang berücksichtigt wird. Es geht dabei um die Begriffe „Landnutzung“ und „Landnutzungsänderungen“.
Landnutzungsänderungen stellen den mit Abstand wichtigsten Einflussfaktor der Landwirtschaft auf zwei der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit dar: den Klimawandel und die globalen Biodiversitätsverluste. Sie wirken sich sogar deutlich stärker aus, als etwa das Methan der Wiederkäuerhaltung oder die Verwendung von synthetischem Stickstoffdünger („Kunstdünger“) im Ackerbau – obwohl die beiden zuletzt genannten Aspekte in öffentlichen Debatten häufig das deutlich größere Gewicht zu erhalten scheinen. Die herausragende Stellung von Landnutzungsänderungen bekräftigen dagegen sowohl der Weltklimarat IPCC als auch der Weltbiodiversitätsrat IPBES in ihren aktuellen Berichten. Dazu gleich mehr.
Was genau bedeutet „Landnutzungsänderung“?
Eine Landnutzungsänderung ist dadurch definiert, dass ein Stück Land dauerhaft oder vorrübergehend in eine andere Nutzungskategorie überführt wird. Es gibt dabei klimaschädliche, aber auch nützliche Landnutzungsänderungen. Klimaschädlich ist es, wenn eine Fläche aufgrund der Umwandlung mehr CO2 in die Atmosphäre freigibt, als sie aufnimmt. Man spricht dann von einer CO2-Quelle. Ein Klima-Nutzen ergibt sich dagegen im umgekehrten Fall, wenn die Umwandlung zu einer Netto-CO2-Aufnahme führt und die Fläche zur CO2-Senke wird.
Was sind die relevanten Landnutzungskategorien?
Im Klimakontext sind, grob und schematisch betrachtet, folgende Nutzungskategorien relevant:
- Wald: zeichnet sich durch Baumbewuchs aus, wobei Naturwald weitgehend frei von menschlichen Eingriffen bleibt und der in Österreich weit vorherrschende Wirtschaftswald u.a. durch regelmäßige Holzernte gekennzeichnet ist.
- Dauergrünland: Hier wachsen dauerhaft Gräser und Kräuter, ohne Unterbrechung durch Bearbeitung des Bodens.
- Moor: eine Fläche, auf der durch angestautes Wasser im Boden sauerstofffreie Bedingungen herrschen, wodurch abgestorbene Pflanzen nur unvollständig verrotten; Moorböden bestehen daher aus bis zu 100 Prozent Humus in Form von Torf.
- Ackerland: Ein Acker oder auch Feld wird in der Regel unterschiedlich häufig und intensiv „beackert“, sprich der Boden wird meist mehrfach im Jahr bearbeitet, um abwechselnd unterschiedliche Kulturpflanzen anzubauen. Obstbaumplantagen und andere Dauerkulturen werden zwar kaum bearbeitet, oft der Einfachheit halber aber unter dem Begriff Ackerland aufgeführt.
- Bauland und Siedlungsflächen: dienen der Errichtung von Gebäuden, Straßen und anderer Infrastruktur
Verschwindende Wälder: Was genau ist das Problem?
Durch die Rodung von Wäldern oder das Umwandeln von Savannen (Grünland) entweicht der von diesen Flächen gespeicherte Kohlenstoff also in Form von CO2 in die Atmosphäre. Aber warum eigentlich? Hintergrund ist, dass alles Lebendige vor allem aus Kohlenstoff (C) aufgebaut ist. Wenn nun Bäume, Gräser, Wurzeln oder Mikroorganismen absterben, verrotten oder verbrennen, dann reagieren darin enthaltene Kohlenstoff-Atome mit dem Sauerstoff der Luft, wobei CO2 entsteht und in die Atmosphäre entweicht.
Dasselbe gilt auch für den mikrobiellen Abbau von Bodenhumus, der aus toter organischer Substanz wie etwa Pflanzenresten besteht. Durch das regelmäßige Beackern eines ehemaligen Wald- oder Grünlandbodens und den damit verbundenen Eintrag von Sauerstoff werden Boden-Mikroorganismen angeregt. Sie bauen vermehrt Humus ab und tun dies so lange, bis sich auf niedrigerem Niveau ein neues Gleichgewicht eingestellt hat.
Besonders klimaschädlich ist die Vernichtung tropischer Regenwälder. Dort, wo sie wachsen, in Äquatornähe, gibt es keinen Winter und folglich eine ganzjährig andauernde Vegetationsperiode mit hohen Temperaturen und viel Wasser. Beste Bedingungen für üppiges Pflanzenwachstum. Regenwälder binden daher riesige Mengen Kohlenstoff, den sie der Atmosphäre zuvor in Form von CO2 und mithilfe der Photosynthese entzogen haben. Zugleich sorgen die Bedingungen in den Tropen für eine besonders hohe Vielfalt an Lebewesen. Genau diese Regionen sind in den vergangenen Jahrzehnten die Hotspots der globalen Entwaldung, während die Waldflächen auf der Nordhalbkugel deutlich zunehmen.
Vom Wert des Grünlands
Mehr als zwei Drittel der landwirtschaftlich genutzten Flächen der Erde bestehen aus Grünland, rund ein Drittel aus Ackerland. Bekannt ist das Grünland etwa als Savanne in Afrika und Südamerika, als Prärie in Nordamerika oder eben als Wiesen und Weiden im Alpenraum oder in den Mittelgebirgen Europas. Übrigens: Wenn in deutschsprachigen Veröffentlichungen manchmal von Grasland die Rede ist, dann handelt es sich im Grunde um eine Fehlübersetzung des gleichlautenden englischen Begriffs grassland, zu Deutsch: Grünland.
In Österreich macht das Grünland, rund je zur Hälfte intensiv und extensiv genutzt, annähernd die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche aus. Ein großer Teil des Grünlandes existiert vor allem dort, wo die Nutzung als Acker nur unter erschwerten Bedingungen oder gar nicht möglich ist. Also etwa auf steilen Flächen oder in Gegenden, wo der Boden zu karg und das Klima zu kühl und zu feucht für gute Erträge an Getreide, Hülsenfrüchten oder Gemüse ist. Wiesen und Weiden gedeihen unter solchen Bedingungen dagegen bestens und lassen sich über die Haltung von Wiederkäuern zur Produktion von hochwertigen Nahrungsmitteln nutzen. Zu den Wiederkäuern zählen sowohl das Rind als auch Schaf und Ziege. Mit ihrem vierteiligen Magen und den darin vorkommenden Mikroorganismen sind sie in der Lage, den Grünlandaufwuchs aus Gräsern und Kräutern zu verdauen und in hochwertiges Eiweiß umzuwandeln. Der Magen von Schweinen, Hühnern oder Menschen kann das nicht.
Die natürlichen Gegebenheiten waren ausschlaggebend dafür, dass sich die Grünlandwirtschaft und speziell die Rinderhaltung als die traditionelle und standortangepasste Form der Landwirtschaft in der Alpenregion etabliert hat. Ackerbau findet man innerhalb der Alpen heute meist nur noch in begünstigten Tallagen.
Allerdings: Früher, zum Teil bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein, wurde auch in vergleichsweise ungünstigen Berglagen Ackerbau betrieben, um die Versorgung der lokalen Bevölkerung mit Getreide oder Erdäpfeln sicherzustellen. Dies lag unter anderem an der insgesamt weniger weit entwickelten Landwirtschaft mit ihren geringeren Erträgen und daher erhöhtem Flächenbedarf. Zudem war der Transport teuer – insbesondere vor Erfindung der Dampflokomotive – was den Handel mit Agrargütern einschränkte. Die Menschen eines Bauernhofes waren daher gezwungenermaßen weitgehend Selbstversorger.
- Extensive Landwirtschaft: Extensiv bedeutet wörtlich „ausgedehnt“ und meint Formen der Landwirtschaft, bei der dem einzelnen Tier mehr Platz zur Verfügung steht oder zur Erzielung einer bestimmten Erntemenge mehr Fläche vorgesehen ist. Extensiv bewirtschaftete Ackerflächen werden weniger stark gedüngt und der Bewuchs mit Kulturpflanzen ist häufig lichter. Extensives Grünland wird seltener gemäht – laut Definition des Grünen Berichts höchstens zwei Mal pro Jahr – oder von weniger Tieren beweidet und wenig gedüngt. Nicht zuletzt diese Umstände lassen mehr Raum für Wildkräuter und ermöglichen somit mehr Biodiversität. Dies spiegelt sich im Gegenzug in geringeren Erträgen wider. Je nach Kulturart und Form der Bewirtschaftung können diese Unterschiede ein geringeres bis zum Teil erhebliches Ausmaß erreichen. Ein Beispiel extensiver Landwirtschaft können biologisch bewirtschaftete Flächen sein. Auch konventionelle Betriebe können mehr oder weniger intensiv geführt werden.
- Intensive Landwirtschaft: Intensiv ist ein Synonym für „gründlich“ oder „konzentriert“. Bei intensiven Formen der Landwirtschaft lassen sich unter erhöhtem Einsatz von Technik und Betriebsmitteln in Form von Dünger, Pflanzenschutzmitteln oder Bodenbearbeitung auf gegebener Fläche höhere Erträge erzielen. Der Bewuchs mit Kulturpflanzen ist meist dichter, Tiere sind auf kleinerer Fläche konzentriert und haben weniger Platz als bei extensiven Formen der Tierhaltung. Konventionelle Landwirtschaft wird häufig, muss aber nicht zwangsläufig intensiv betrieben werden. Im Rahmen des Agrarumweltprogramms ÖPUL sowie der Anforderungen der EU integrieren konventionelle Betriebe Maßnahmen wie Blühflächen und Randstreifen, die einer Teil-Extensivierung gleichkommen.
Warum Grünland ein wichtiger Kohlenstoff-Speicher ist
Als Kohlenstoff-Speicher ist Grünland deutlich mehr wert als Ackerland. Die Grünlandflächen unseres Planeten speichern laut Moor-Atlas der Heinrich-Böll-Stiftung sogar mehr Kohlenstoff als alle Wälder. In Österreich enthalten Böden im Grünland grob betrachtet zwischen 5 und 10 Prozent Humus, während Ackerböden in der Regel kaum über 4 Prozent Humusgehalt hinauskommen. Dies ist der Grund dafür, warum auch der Umbruch von heimischem Grünland zu Ackerland CO2 freisetzen und dem Klima schaden kann. Dem Grünlandumbruch sind daher in Österreich und der gesamten EU enge Grenzen gesetzt. Aber wann wäre das überhaupt sinnvoll?
Ein Teil der Grünlandflächen ließe sich theoretisch umbrechen und zu Äckern umwandeln. Manche Betriebe tun dies auch mit kleineren Anteilen ihrer Flächen, etwa um den Anbau bestimmter Kulturen auszuweiten. Sinnvoll kann dies in flacheren Tallagen sein, wo maschinelle Bodenbearbeitung möglich ist. Dort kann dann statt Gras für Tiere Getreide oder Gemüse für Menschen wachsen. Meist ist es aber die Kombination aus einer Vielzahl von Gründen, die den Produktionsentscheidungen eines landwirtschaftlichen Betriebs zugrunde liegen. Dort, wo etwa für den Gemüseanbau ideale Bedingungen herrschen, wird er ohnehin in größerem Stil betrieben, etwa im Osten Österreichs. Dort haben sich auch Verarbeitungsbetriebe und andere Logistikeinheiten angesiedelt, deren Aufbau sich außerhalb dieser Gunstlagen schwer lohnt. Mit Fleisch und Milch lässt sich auf begrenzter Fläche eine größere Wertschöpfung als mittels Getreideanbau erzielen, letzteres lohnt sich meist, wenn man viel Fläche zur Verfügung hat, was beim typischen kleinbäuerlichen Milchviehbetrieb nicht der Fall ist.
In jedem Fall gilt aber, dass eine solche Umwandlung von Grün- in Ackerland kontraproduktiv aus Sicht des Klimaschutzes ist. Dass es dennoch in sehr geringem Umfang geschieht, wird laut Klimaschutzbericht aber durch einen anderen Effekt weit überlagert: der Ausbreitung von Wald auf ehemaligen Grünlandflächen.
Zusammenfassend kann man sagen: Wenn Wald gerodet wird, um auf der Fläche neues Grünland anzulegen, ist auch das – rein aus Klimasicht – unsinnig. Erst recht, wenn es sich um tropischen Regenwald mit seiner extra-hohen Kohlenstoff-Speicherleistung handelt. Gleichzeitig bindet nachhaltig bewirtschaftetes Grünland deutlich mehr Kohlenstoff als Ackerland. Aber selbst Acker ist nicht gleich Acker: Je nach Art und Intensität seiner Bewirtschaftung, vor allem der Wahl der Kulturpflanzen und der Fruchtfolge, kann er mehr oder weniger Kohlenstoff in Form von Humus binden.
Grünland als wertvoller Bestandteil der Biodiversität
Grünland hat auch für die Biodiversität hohen Stellenwert, insbesondere in Mitteleuropa. Das gilt besonders dann, wenn es ehr extensiv genutzt, das heißt seltener gemäht oder mit einem günstigen Maß an Intensität beweidet und nicht zusätzlich gedüngt wird. Dann beherbergt es ein großes Spektrum an Tieren und Pflanzen, die sich speziell an diesen Lebensraum angepasst haben und etwa in einem Wald keine Überlebenschance hätten.
Da die extensive Bewirtschaftung im Vergleich weniger Produktmenge liefert, lohnt sie sich für Bauernfamilien nur dann, wenn sie höhere Erzeugerpreise erzielen kann oder in Form von staatlichen Förderungen zusätzlich entlohnt wird. In Österreich ist dies zum Beispiel durch die Direktvermarktung, regionale Programme des Lebensmittelhandels oder die Vermarktung von Bio-Produkten möglich. Trotz der Förderung extensiver Landwirtschaftsformen sind in den vergangenen Jahrzehnten in ganz Europa Millionen Hektar Grünland aufgegeben worden und mit Wald zugewachsen. In Österreich ist die Grünlandfläche zwischen 1990 und 2022 laut Umweltbundesamt um 202.000 Hektar oder 11 Prozent geschrumpft, während sich die Waldflächen im selben Zeitraum um 129.000 Hektar ausgedehnt haben. Laut Waldbericht 2023 sind in den zurückliegenden zehn Jahren durchschnittlich sechs Hektar Wald pro Tag hinzugekommen. Wald bedeckt inzwischen 48 Prozent der Staatsfläche. Auch wenn wir den Wald aus mehreren Gründen zu Recht mit positiven Assoziationen verknüpfen, bezüglich der Biodiversität ist das keine erfreuliche Entwicklung.
Noch sehr viel weniger erfreulich – sowohl in puncto Biodiversität und Klima, aber auch in Sachen Lebensmittelversorgung – ist die Tatsache, dass die Siedlungsflächen in Österreich seit 1990 um 208.000 Hektar angewachsen sind. Das entspricht einem Zuwachs von 56 Prozent.
Was der Verlust von Grünland für die Biodiversität bedeutet, wird unter anderem in einem Bericht der EU-Umweltagentur zum Zustand der Natur aus dem Jahr 2020 deutlich. Der Bericht zählt die acht wichtigsten Faktoren auf, über die die Landwirtschaft den Zustand von Lebensräumen und Arten negativ beeinflusst und reiht sie nach ihrem Anteil an der Gesamtwirkung der Landwirtschaft. Noch vor dem Einfluss von Pflanzenschutzmitteln (8 Prozent der Gesamtwirkung der Landwirtschaft) wird hier die „Aufgabe der Grünlandnutzung“ (14 Prozent) als der mit Abstand wichtigste Grund genannt. Die weiteren sechs der acht wichtigsten Faktoren zeigt unsere Grafik. All dies gilt auch angesichts der Tatsache, dass die mit Grünland untrennbar verbundenen Wiederkäuer klimaschädliches Methan ausstoßen. Mehr zu Methan und seiner Bewertung findest du hier.
Moore als heimliche Champions
Noch deutlich wertvoller für das Klima sind aber Moore, obwohl sie bislang weniger im Rampenlicht stehen als Regenwälder. Zwar bedecken Moore nur 3 Prozent der weltweiten Landfläche, sie speichern aber fast die doppelte Kohlenstoffmenge aller Wälder zusammen36, die auf rund 30 Prozent der Landflächen wachsen.
Moore sind durch angestautes Wasser entstanden. Wenn Moorpflanzen am Ende ihres Lebenszyklus absterben, dann verrotten sie nicht vollständig, so wie etwa Pflanzen in einem Gartenbeet oder auf einem Acker. Stattdessen sorgt das Wasser für sauerstofffreie Bedingungen, die den mikrobiellen Abbau der abgestorbenen Pflanzenteile blockieren. Mit jeder Pflanzengeneration entsteht so eine zusätzliche Schicht aus kohlenstoffreichem Humus, dem Torf. Intakte, also nasse Moore sind deswegen Kohlenstoffsenken und von unschätzbarem Wert für das Weltklima. Zwar setzen nasse Moore auch das klimaschädliche Methan frei, allerdings überwiegt laut Wissenschaft der positive Effekt der Kohlenstoffspeicherung.
Werden Moore aber entwässert und beackert, wie dies in Mitteleuropa verstärkt seit 200 bis 300 Jahren geschieht, dann löst der Kontakt mit Sauerstoff einen Verrottungsprozess aus, der über viele Jahrzehnte hinweg und länger CO2 freisetzt. Dabei kann sich der Boden metertief absenken. Entwässerte Moore sind daher starke CO2-Quellen. Im moorreichen Deutschland etwa sind sie für rund 40 Prozent aller Emissionen aus landwirtschaftlichen Aktivitäten37 verantwortlich. Nur ihre Wiedervernässung, sprich das Verstopfen einst angelegter Entwässerungsgräben, kann die klimaschädliche Wirkung stoppen.
In Österreich spielen Emissionen aus entwässerten Mooren insgesamt eine untergeordnete Rolle. Aber auch hier wurde in der Vergangenheit ein Großteil der Moore und anderer Feuchtgebiete mittels Drainagegräben entwässert. Laut WWF Österreich sind noch rund 20 Prozent der einstigen Moorflächen erhalten.38 Die Bewirtschaftung entwässerter Moore ist laut Umweltbundesamt der Hauptgrund dafür, dass alles Grünland zusammengenommen eine schwache Netto-Emissionsquelle darstellt – auch wenn die zugrunde liegenden Schätzungen laut UBA „aufgrund mangelnder Daten sehr unsicher“ sind.39 Demnach trägt das Grünland 0,4 Prozent zu den nationalen Treibhausgasemissionen Österreichs bei.
Höhere Erträge oder mehr Anbaufläche – die zwei Möglichkeiten der Produktionssteigerung
Die Natur kennt keine Äcker. Landnutzungsänderungen sind daher überall auf der Welt immer schon die Voraussetzung jeder Form des Ackerbaus gewesen. Weideland kann es zwar auch ohne menschlichen Einfluss geben, aber auch für seine Mehrung rodeten Menschen schon vor vielen tausend Jahren Wälder, auch hier im heutigen Österreich. Die Neugewinnung von Äckern und Grünland geschah oft unter Einsatz von Feuer. Brandrodung, wie wir sie heute nur noch von Fernsehbildern, etwa aus Brasilien, kennen, war zum Teil sogar noch bis ins 20. Jahrhundert hinein auch in Mitteleuropa gängige Praxis. Auch das Trockenlegen von Sümpfen oder die Begradigung von Flüssen wie Rhein und Donau schufen neues Agrarland, das wir noch heute für die Lebensmittelproduktion nutzen.
Nun gibt es in Zeiten einer wachsenden Bevölkerung immer nur zwei Möglichkeiten zur Steigerung der Produktionsmengen: erstens die Erwirtschaftung höherer Erträge auf den bereits vorhandenen Agrarflächen und zweitens die Ausweitung der Agrarflächen. Das große Problem in Sachen Weltklima ist, dass auch zweiteres noch immer passiert, vor allem auf der Südhalbkugel, mit angetrieben auch durch unseren Konsum auf der Nordhalbkugel. Zwar konnte die globale Landwirtschaft inklusive der österreichischen die Flächenerträge in den vergangenen Jahrzehnten erheblich steigern und dadurch den Landbedarf pro Person deutlich verkleinern. Dennoch führen das Wachstum der Weltbevölkerung und die Mehrung ihres Wohlstandes zu einem wachsenden Lebensmittelbedarf und damit eben auch weiterhin zu Agrarland-Neugewinnung.
Parallel dazu ist ein gegenteiliger Trend festzustellen: Vorhandene Agrarflächen gehen verloren, etwa durch Bodendegeneration und Wüstenbildung, Verbauung oder Nutzungsaufgabe. Gerade Österreich tritt in Sachen Verbauung und Bodenversiegelung in besonders negativer Weise hervor: Noch immer werden hierzulande jeden Tag durchschnittlich rund 11 Hektar Boden verbaut. Jedes Jahr enden so Äcker und Wiesen in der Größe Eisenstadts als Gewerbepark, Straße, Supermarktparkplatz oder Wohngebiet. Grob die Hälfte dieser Fläche wird dabei mit Beton oder Asphalt versiegelt40, wodurch der Boden für sehr lange Zeit weder CO2 binden noch der Lebensmittelproduktion dienen kann.
Der wachsende Lebensmittelkonsum bei gleichzeitigem Verlust von Agrarflächen sorgt für Druck auf die globalen Landflächen. Der Anreiz, neue Agrarflächen zu schaffen, bleibt das folgenschwerste Problem des Ernährungssystems.
Der Beitrag der Landnutzung zum Klimawandel
Als Menschheit sind wir also noch immer dabei, Naturflächen in Agrarflächen umzuwandeln, insbesondere auf der Südhalbkugel. Und das führt – netto – zu beträchtlichen Treibhausgasemissionen, die auch durch den Waldzuwachs auf der Nordhalbkugel und die damit verbundene Rückumwandlung von Agrarflächen nicht kompensiert werden. Während Landnutzungsänderungen in Regionen wie dem Kongobecken oft von Kleinbauern aus nackter Not heraus vorangetrieben werden, sind es in Südamerika eher Großfarmer, die umgewandelte Landflächen für den Ackerbau nutzen, um mehr Soja nach China oder Europa exportieren und so die Nachfrage nach Fleisch bzw. Tierfutter stillen zu können. (Mehr dazu: siehe Lebensmittel Soja)
Landnutzungsänderungen waren im Jahr 2019, laut IPCC-Daten, global für 11 Prozent der insgesamt 59 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente menschengemachter Treibhausgas-Emissionen verantwortlich.
Ändert man die Bezugsgröße auf die Emissionen des Sektors „Landwirtschaft, Forstwirtschaft und sonstige Landnutzung (AFOLU)“, dann fallen 51 Prozent davon auf Landnutzungsänderungen, sprich die Rodung von Wäldern, das Beackern von trockengelegten Mooren, das Umbrechen von Grünland auf die Ausbreitung von Siedlungsgebieten mit ihrer entsprechenden Verbauung und Versiegelung von Böden. Dabei wurde bereits jenes CO2 gegengerechnet, das der Atmosphäre durch Ausbreitung und Wachstum von Wäldern wieder entzogen wird. Zum Vergleich: 23 Prozent der Sektor-Emissionen betreffen das Methan aus der Wiederkäuerverdauung, 3 Prozent die Ausbringung von synthetischen Stickstoffdüngern.
Auch an dieser Stelle sei noch einmal erwähnt, dass die Klimawirkung des gesamten Ernährungssystems über jene der Landwirtschaft hinausgeht. Siehe dazu auch das Kapitel zu den wichtigsten Zahlen des Klimawandels weiter oben.
In Bezug auf unser tägliches Einkaufs- und Ernährungsverhalten legen diese Zusammenhänge rund um das Thema Landnutzung mehrere Dinge nahe: Zum einen sollten wir möglichst keine Produkte kaufen, die mit der Umwandlung von Natur- und Agrarflächen in Zusammenhang stehen. Wobei indirekte Effekte zu beachten sind. Wenn wir hier in Österreich bestimmte Produkte nicht nachfragen, könnten diese zu einem vergünstigten Preis Abnehmer in anderen Erdteilen finden und dort sogar den Absatz ankurbeln. Kaufen wir zugleich Alternativen derselben Art von Produkt, nur von landnutzungsfreier Herkunft, dann bleibt die nachgefragte Menge über eine Art Dreieckshandel gleich oder wächst sogar. Für dieselbe Art von Produkt würde dann gleich viel oder sogar noch mehr Land in Anspruch genommen werden. Um schädliche Landnutzungsänderungen zu vermeiden sind daher überregionale Regelungen besonders gefragt. Ein Beispiel dafür ist das 2006 in Kraft getretene Amazonas-Soja-Moratorium.
Zum anderen sollten wir möglichst wenig Lebensmittel verschwenden, was gleichbedeutend mit einem allgemein reduzierten Konsum ist. Besser als vermeintlich klimafreundliche Alternativen zu kaufen, ist es aus Sicht des Klimaschutzes immer weniger zu kaufen. Dadurch können wir vielerlei Arten von Ressourcen sparen und auch unseren Anteil am globalen Druck auf Landflächen reduzieren.
Schließlich sollten wir aber auch den Wert einer standortangepassten und flächeneffizienten Landwirtschaft bedenken, die durch ein angepasstes Maß an Intensität mit guten Erträgen Flächen spart oder für artenreiche extensive Formen der Landwirtschaft freischaufelt.
Landnutzung als wichtigster Faktor für Biodiversität
Dass die Landnutzung auch in Sachen globaler Biodiversitätsfragen eine entscheidende Rolle spielt, betont unter anderem der Weltbiodiversitätsrat IPBES. In seinem „globalen Gutachten zu Biodiversität und Ökosystemleistungen“ aus dem Jahr 2019 schreibt dieser auf Seite 16 der Zusammenfassung:
„Das Tempo der globalen Veränderungen in der Natur während der vergangenen 50 Jahre ist beispiellos in der Geschichte der Menschheit.”
Der Bericht nennt die in der globalen Betrachtung fünf wichtigsten Ursachen „beginnend mit denen mit den größten Auswirkungen“. Siehe dazu unsere Grafik. Sie zeigt: Auch beim Verlust von Biodiversität spielt also das Umwandeln von Flächen in eine andere Nutzungskategorie die bedeutendste, wenn gleich längst nicht die einzige Rolle.
Die Crux dabei: Bemühungen zur Verbesserung der Biodiversität an einem bestimmten Ort können in einem Zielkonflikt mit der Biodiversität an einem anderen Ort stehen. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn diese Bemühungen zu erheblichen Ertragsrückgängen führen, die dann durch die Steigerung der Produktion an einem anderen Ort ausgeglichen werden müssten, sei es in anderen Landesteilen oder auf anderen Kontinenten. Dies könnte dort nur durch Intensivierung der Produktion oder die Gewinnung von zusätzlichen Agrarflächen ermöglicht werden, zum Beispiel auf Kosten von Regenwald.
Umgekehrt ist festzustellen: Die Intensivierung der Produktion auf bestehenden Flächen steigert zwar die Erträge und mindert dadurch den Druck auf die globalen Landflächen, was sowohl für das Klima als auch die globale (!) Biodiversität gut ist. Sie kann aber umgekehrt zu mehr Emissionen und weniger Biodiversität auf den betreffenden Produktionsflächen führen. Diesen Zielkonflikt auszutarieren, kann als eine der zentralen Herausforderungen der Landwirtschaft betrachtet werden. Der Weltklimarat IPCC versucht durch den Begriff der „nachhaltigen Intensivierung“ einer Auflösung des Konflikts näherzukommen. Siehe dazu auch den Abschnitt Land teilen oder Land sparen.
Landnutzung in Ökobilanzen
Den mit Abstand größten Klima- (und Umwelt-)Schaden kann die globale Landwirtschaft also dadurch anrichten, dass sie ihre Flächen auf Kosten von Naturflächen ausdehnt. In Österreich liegt die großflächige Umwandlung von Naturflächen meist viele Jahrhunderte zurück. Zu Landnutzungsänderungen kommt es hier in jüngerer Vergangenheit vor allem durch die Ausdehnung der Waldflächen auf ehemaligem Grünland. Im geringen Ausmaß wird aber auch Wald zu Grünland oder Grünland zu Ackerflächen umgewandelt, was aber im Vergleich zum Waldwachstum kaum ins Gewicht fällt.
Und dennoch können auch hier produzierte Lebensmittel zu schädlichen Landnutzungsänderungen beitragen. Nämlich dann, wenn importierte Komponenten im Spiel sind, für deren Produktion Flächen genutzt werden, die durch Landnutzungsänderungen gewonnen worden waren.
Ein Beispiel ist die Produktion von Schweinefleisch in Österreich. Der überwiegende Teil des Futters österreichischer Mastschweine (Mais, Getreide) wird von den Mastbetrieben selbst angebaut oder stammt aus anderweitigem regionalen Anbau. Dieses Futter ist damit definitionsgemäß frei von Landnutzungsänderungen. Bis zu 20 Prozent der Futterration, speziell der eiweißreiche Teil der Ration, wird in der Regel durch Soja gedeckt. Aufgrund des Preisvorteils stammt dieses Soja meist aus Nord- oder Südamerika, wobei die Importe aus Südamerika von Flächen stammen können, die kurz zuvor noch aus Savanne oder Regenwald bestanden. Ist das der Fall, erhöht sich der CO2-Fußabdruck des Futters und damit auch des Schweinefleischs sprunghaft.
Manche Schweinefleisch-Programme werben mit einem erheblich reduzierten Treibhausgasausstoß, der durch den Verzicht auf Soja aus Übersee zustande kommt.41 In der österreichischen Milch-, Eier- und Geflügelfleischproduktion wird dasselbe Ziel – im Gegensatz zu vielen anderen Ländern – bereits indirekt über den Verzicht auf bestimmte Formen der Gentechnik erreicht. Da Soja in Südamerika fast ausschließlich mit gentechnisch verändertem Saatgut produziert wird, bewirkt der Verzicht auf klassische Gentechnik automatisch den nahezu vollständigen Verzicht auf Soja aus Südamerika – und damit auf Futter, das mittels Landnutzungsänderungen einen erhöhten CO2-Fußabdruck mit sich bringt. Mehr zum Thema Gentechnik und Soja findest du hier.
Aber warum soll es eigentlich einen Unterschied machen, ob eine Fläche „kurz zuvor“ oder hunderte Jahre zuvor entwaldet wurde? Oder anders formuliert: Dürfen wir Brasilien für seine aktuelle Waldrodung überhaupt kritisieren, obwohl wir in der Vergangenheit dasselbe getan haben? Schließlich gab es Felder auch in Österreich zu keinem Zeitpunkt von Natur aus.
Derzeit werden solche Fragen in der Regel so beantwortet, dass ein länger zurückliegender CO2-Ausstoß durch Landnutzungsänderungen in den Bilanzen als abgeschrieben bewertet wird und somit unberücksichtigt bleibt. Oft gilt: Wenn eine Fläche in den 20 vor dem Betrachtungszeitpunkt liegenden Jahren umgewandelt wurde, rechnet man darauf gewachsenen Lebens- oder Futtermitteln einen Anteil der durch die Umwandlung entstandenen Emissionen zu. Würde man keinen zeitlichen Rahmen setzen, dann wäre jeder Acker auf der Erde – der grundsätzlich auf einstigen Naturflächen liegt – durch Landnutzungsänderungen belastet. Vergleichbares bringen manche Forschenden als eine Option in die Diskussion ein.
Wie Österreich die globale Landnutzung beeinflusst
Der Zukauf von Futtermitteln aus Übersee ist bekanntermaßen nicht die einzige Verbindung zwischen der österreichischen Landwirtschaft und dem Rest der Welt. Es ist schlussendlich die Gesamtheit unserer Produktions- sowie Konsummuster, die auf die eine oder andere Weise – mal direkt, mal indirekt – Einfluss auf das globale Geschehen und damit auch auf die Landnutzung auf anderen Kontinenten nimmt. Das gilt erst recht, wenn wir Österreich als das sehen, was es ist: ein zwar kleiner, aber gleichberechtigt mitspracheberechtigter Teil der EU, einer Staaten-Gemeinschaft mit fast 450 Millionen Einwohnern.
Zu bedenken ist also, dass Österreich und die EU Teil eines globalen Marktes sind. Wir importieren und exportieren Lebens- und Futtermittel. Wir nehmen mit knapp neun Millionen konsumierenden Menschen am Marktgeschehen teil. Zwar sind das banale Feststellungen, was daraus für die globale Landnutzung folgt, ist dagegen weniger banal:
1. Durch Lebensmittel-Importe beanspruchen wir Agrarflächen in Drittstaaten.
2. Durch Lebensmittel-Exporte stellen wir unsere eigenen Agrarflächen für die Versorgung anderer Länder zur Verfügung.
3. Auch Lebensmittel, die vollständig in Österreich hergestellt und konsumiert werden, beeinflussen indirekt den Weltmarkt. Denn würde die heimische Landwirtschaft ihre Produktion auf null herunterfahren, dann müssten alle Einwohner des Landes mit Lebensmitteln aus anderen Staaten versorgt werden.
Das führt unter der Annahme, dass es global nicht zu Einsparungen in Form von weniger Lebensmittelverschwendung und veränderten Konsummustern kommt, zu folgendem Schluss: Ohne österreichische Produktion müssten woanders in der Welt mehr Lebensmittel produziert werden. Um dies zu erreichen, gibt es zwei Möglichkeiten: entweder die Intensivierung der Produktion oder die Vergrößerung der Agrarflächen. Mehr klimaschädliche Landnutzungsänderungen wären sehr wahrscheinlich die Folge.
Das Landnutzungsproblem und die Schlussfolgerungen
Bei allen Diskussionen um lokale Landwirtschaft gilt es, die globalen Zusammenhänge im Auge zu behalten. Sowohl die Forschenden des IPCC als auch des Weltbiodiversitätsrats geben uns dazu implizit folgende Botschaft mit: Neben der Frage, wie Landwirtschaft betrieben wird, lautet die mit Abstand wichtigste Frage ob überhaupt Landwirtschaft auf einem Stück Land betrieben wird. Im globalen Zusammenhang ist das Ob sogar noch wichtiger als das Wie.
Anders ausgedrückt: Wie viel Dünger oder Pflanzenschutzmittel auf einem Hektar Agrarland ausgebracht werden, wie viele Rinder auf einer Weide grasen oder ob Kulturen dort in Fruchtfolge oder als Monokultur angebaut werden, hat natürlich einen großen und keinesfalls zu vernachlässigenden Einfluss auf den Treibhausgasausstoß und andere Umweltwirkungen am Ort des Geschehens. Aber den allergewichtigsten Einfluss auf Weltklima und globales Artensterben hat eine andere Frage: Wie viel Land, vor allem Ackerland, beansprucht die Produktion von Futter- und Lebensmitteln sowie anderer agrarischer Rohstoffe? Dabei gilt: Höhere Erträge pro Hektar vermindern den Landbedarf pro Kilogramm Ernteprodukt.
Maßnahmen zum Schutz der Umwelt vor Ort sollten sich deswegen laut Ansicht vieler Agrarwissenschaftlerinnen stets auch an ihrer Auswirkung auf den Ertrag und damit auf den Landbedarf messen lassen. Über den Landbedarf sind die lokalen Umweltwirkungen der Landwirtschaft an globale Umweltwirkungen gekoppelt. Schließlich führen Mindererträge – bei gleichbleibendem oder wachsendem Konsum – dazu, dass die Verluste durch Mehrproduktion an einem anderen Ort ausgeglichen werden müssen. Entweder durch die Intensivierung der Produktion (mehr Dünger, mehr Pflanzenschutzmittel, besseres Saatgut etc.) oder durch die Ausweitung der Agrarflächen, sprich Landnutzungsänderungen. Bestätigt werden solche grundsätzlichen Zusammenhänge unter anderem durch eine aktuelle Studie der Uni Wageningen42 zu möglichen Auswirkungen des Green Deals der EU sowie eine Studie des Wissenschaftsdienstes der EU-Kommission JRC43.
Mit Blick auf die EU ist in den vergangenen Jahrzehnten ein Trend zur Teil-Auslagerung der Produktionsflächen zu beobachten. Laut eines Artikels im Wissenschaftsmagazin Nature hat sich hier die Fläche des Waldes zwischen 1990 und 2014 um die Fläche Griechenlands44 oder 12,6 Millionen Hektar ausgedehnt. Im selben Zeitraum gingen vor allem in Brasilien, Argentinien, Indonesien und anderen Staaten 11,3 Millionen Hektar Wald allein dafür verloren, dass auf den gewonnenen Flächen Feldfrüchte für den Export in die EU angebaut werden können. Auch in Österreich ist die Waldfläche laut Waldbericht 2023 in den vergangenen zehn Jahren um durchschnittlich sechs Hektar pro Tag angewachsen und bedeckt inzwischen 48 Prozent der Staatsfläche.
IPCC: Steigende Lebensmittelpreise fördern die Entwaldung
Der Zusammenhang zwischen der landwirtschaftlichen Produktionsmenge und deren Klimawirkung ist auch an einer Grafik abzulesen, die der Weltklimarat IPCC in seinen sechsten Sachstandsbericht aufgenommen hat. Sie spiegelt das Ergebnis einer Meta-Analyse wider, in deren Rahmen vorhandene Studien über den Zusammenhang von Entwaldung und ihren Antriebskräften untersucht worden waren. Ergebnis der Meta-Analyse: Höhere Preise für Agrargüter sind der mit Abstand wichtigste Auslöser für höhere Entwaldungsraten. Da Preise vor allem durch Nachfrage und Angebot beeinflusst werden ist klar: Eine Drosselung der Produktion führt, bei ansonsten gleichbleibenden Bedingungen, über steigende Preise zu größerem Waldverlust und verschlimmert dadurch den negativen Klima-Einfluss des ohnehin schon wichtigsten Faktors des Ernährungssystems: Landnutzungsänderungen.
Pflanzen für den Teller und Pflanzen für den Trog
Im Kapitel über die CO2-Fußabdrücke von Lebensmitteln haben wir bereits darüber gesprochen, dass tierische Produkte in aller Regel eine deutlich größere Treibhausgasmenge verursachen als pflanzliche. Grund dafür sind zwei wesentliche Aspekte.
1. Veredlung & Veredlungsverluste
Sogenannte Veredlungsverluste sind immer dann unvermeidlich, wenn Pflanzen an Tiere verfüttert werden, die für den Menschen grundsätzlich essbar wären. Sie entstehen dadurch, dass ein beträchtlicher Teil der Energie des Futters in den Aufbau und Erhalt des gesamten Tierkörpers fließen, also neben den Zielprodukten Fleisch oder Milch auch in Knochen, Innereien, Haare oder andere Körperteile, die später nicht auf dem Teller landen. Außerdem braucht das Tier auch Energie, um sich zu bewegen, zu atmen, seinen Blutkreislauf aufrecht zu erhalten und für andere Körperfunktionen. Ohne den Umweg über den Tiermagen würde ein Großteil dieser Energie direkt dem menschlichen Organismus zukommen.
Aber nicht jede Art von Futter könnte automatisch direkt in die menschliche Ernährung fließen. Gras ist zum Beispiel unverdaulich für den Homo Sapiens. Um es dennoch für die Ernährung nutzbar zu machen, stellt der „Umweg“ über den Wiederkäuermagen eine Art „Upcycling“ von ansonsten nicht nutzbaren Ressourcen dar. Hinzukommt, dass dieses Gras vor allem auf dem reichlich vorhandenen Dauergrünland wächst, das einen wichtigen Kohlenstoffspeicher darstellt und in puncto Klima keinesfalls mit Ackerland gleichzusetzen ist (siehe Kapitel „Vom Wert des Grünlands). Das Gras-Upcycling gleicht also umgekehrt einer Veredlung. Ähnlich verhält es sich mit als Futter genutzten Koppelprodukten, wie etwa den Schalenbestandteilen des Getreidekorns (Kleie), dem Getreidestroh oder den Getreideresten, die beim Bierbrauen übrig bleiben (Treber), für die es nur wenig oder keine Nachfrage zur Verwertung in Lebensmitteln gibt.
Tierfutter lässt sich demnach in essbare und nicht-essbare Biomasse unterscheiden. Laut des viel zitierten Tierernährungsexperten Wilhelm Windisch von der Technischen Universität München kommen auf jedes Kilogramm pflanzlicher Lebensmittel vier Kilogramm nicht-essbare Biomasse, die auf den Agrarflächen heranwachsen oder im Zuge der Weiterverarbeitung von Ernteprodukten anfallen.45 Dazu zählen auch Produkte, die nicht den Qualitätsanforderungen der Menschen entsprechen. So hängt etwa die Qualität von Weizen stark vom jeweiligen Witterungsverlauf ab. Regnet es zur Erntezeit häufig, kann das Getreide weniger tauglich oder gänzlich untauglich für den Backprozess werden, aber sich noch immer gut zur Verwendung als Tierfutter eignen.
Die ausschließliche Verwertung von nicht-essbarer Biomasse stellt so etwas wie ein von vielen Seiten propagiertes Nachhaltigkeitsideal dar, das in der Realität in unterschiedlichen Ausmaßen vorkommt. Ein nicht unerheblicher, wenn auch schwer bestimmbarer Anteil der Erntemengen von Getreide, Mais oder Soja, die heute an Tiere verfüttert werden, könnte – jedenfalls in der Theorie – direkt der menschlichen Ernährung dienen. Eine volle Umsetzung dieses Potenzials würde jedenfalls auch die Veränderung von Einkaufs- und Ernährungsgewohnheiten voraussetzen, die in den Augen mancher wohl auch einem „Herunterschrauben von Ansprüchen“ gleichkämen. So könnten wir etwa vermehrt Maisprodukte wie Polenta konsumieren oder Backwaren akzeptieren, die wegen schlechterer Mehlqualität im Ofen weniger aufgegangen, also „platter“ sind.
Veredlungsverluste bei der Fütterung von Nutztieren bedeuten den anteiligen Verlust an jenen Ressourcen, die etwa in Form von Land, Dünger, Diesel oder Pflanzenschutzmitteln bei der Produktion des Tierfutters aufgewendet wurden.
Demgegenüber steht das Bestreben, nicht für den menschlichen Verzehr geeignete oder nachgefragte Biomasse über den Tiermagen zu verwerten.
2. Der Flächenanspruch der Tierhaltung
Von der gesamten weltweit vorhandenen Agrarfläche wird der allergrößte Anteil zur Ernährung landwirtschaftlicher Nutztiere verwendet. Zählt man das Grünland (zwei Drittel der Agrarflächen) sowie die für den Futteranbau genutzte Ackerfläche zusammen, ergibt sich ein Anteil von annähernd 80 Prozent. Bei dieser Rechnung ist allerdings zu beachten, dass der weit überwiegende Anteil dieses Futters nicht für die Ernährung von Menschen nutzbar ist, da es sich um das Gras des Grünlandes handelt. Warum die wesentlichen Unterschiede zwischen Grünland (wichtiger Kohlenstoffspeicher und Lebensraum) und Ackerland (Anbaufläche für Getreide und viele andere Feldkulturen) stets beachtet werden sollten, kannst du ausführlich im Abschnitt Vom Wert des Grünlands lesen.
Grünland kann, sofern es nachhaltig bewirtschaftet wird, ein wichtiger Kohlenstoffspeicher und Lebensraum für eine große Vielfalt an Arten sein. Beides spricht dagegen, Grünland großflächig in Ackerland umzuwandeln.
Ackerland stellt im Vergleich zum Grünland ganz grundsätzlich eine intensivere Form der Landnutzung dar. Selbst extensiv bewirtschaftetes Ackerland (das zum Beispiel wenig gedüngt wird) speichert deutlich weniger Kohlenstoff als Grünland oder Wald und wird in der Regel unter deutlich höheren Treibhausgasemissionen bewirtschaftet. Auch der Austrag von Stickstoff in Form von Nitratauswaschung ist auf Ackerland viel höher als auf Grünland.
Schaut man separat auf das weltweite Ackerland, dann werden annähernd 40 Prozent dieser Flächen für die Produktion von Tierfutter verwendet. Besonders klimaschädlich ist es, wenn Ackerflächen durch die Umwandlung von Savannen oder die Rodung von Regenwäldern neu gewonnen werden (Stichwort Landnutzung, siehe oben.) Zum Teil werden dort gewonnene Produkte wie Soja auch nach Österreich geliefert, um hier beispielsweise als Teil des Futters von Mastschweinen Verwendung zu finden. Soja für Geflügel oder Milchkühe stammt dagegen im Rahmen einer Branchenvereinbarung aus Österreich oder anderen europäischen Ländern. So oder so: Ein maßvoller beziehungsweise reduzierter Konsum tierischer Produkte kann dabei helfen, den Druck auf die globalen Landflächen zu verkleinern. Dies gilt insbesondere dann, wenn die konsumierten Produkte zusätzlich aus klimaeffizienter und standortangepasster Produktion stammen.
Land teilen oder Land sparen?
Geht man davon aus, dass die globale Landwirtschaft, deren Teil auch die österreichische ist, eine definierte Menge an Nahrungsmitteln und anderen Rohstoffen liefern muss, dann stellt sich folgende Frage: Soll diese Menge mittels einer möglichst gering-intensiven Landwirtschaft, salopp gesagt mit wenig oder gar keinem Einsatz von "Kunstdünger" und Pflanzenschutzmitteln, produziert werden? Diese Variante käme zwar im Schnitt mit weniger Treibhausgasemissionen, insgesamt geringeren negativen Umwelteffekten und größerer Artenvielfalt auf den betrachteten Produktionsflächen einher, benötigt aber wegen kleinerer Erträge auch zum Teil deutlich mehr Fläche, um die angestrebte Menge zu liefern.
Ein Beispiel: Angenommen eine extensive Form des Getreideanbaus erwirtschaftet durchschnittlich 35 Prozent geringere Erträge pro Hektar als eine intensivere Form des Anbaus, die mit Betriebsmitteln wie synthetischem Stickstoffdünger oder Pflanzenschutzmitteln arbeitet. Das bedeutet umgekehrt, dass der extensive Anbau für dieselbe Erntemenge 54 Prozent mehr Fläche benötigt als die Intensivvariante. Würde man diese Form des Anbaus global verwirklichen, ohne dass sich andere Voraussetzungen ändern, dann ginge der erhebliche Mehrbedarf an Ackerfläche, wie beschrieben, zu Lasten von Naturflächen und würde die Emissionen durch Landnutzungsänderungen in die Höhe treiben.
Sollte die Landwirtschaft also eher intensiv arbeiten, um die Zielmenge auf möglichst geringer Fläche zu erwirtschaften? Auf diese Weise ließen sich andere Flächen „freischaufeln“, die dann gezielt dem Klima- oder Umweltschutz gewidmet werden könnten. Zum Beispiel, indem man Moorflächen wieder vernässt, Wälder aufforstet, Heckenstreifen anlegt, mehr Flächen zeitweise brachliegen lässt oder speziell für Insekten und andere Wildtiere Blühflächen anlegt.
In der Wissenschaft werden derartige Fragen unter der Überschrift „land sparing or land sharing“ (Land sparen oder Land teilen?) diskutiert. Viele Forschende argumentieren dabei auch für eine Mischform aus beiden Ansätzen. Dabei haben sowohl intensive als auch extensive Formen der Landwirtschaft ihre Berechtigung und ergänzen sich gegenseitig.
Was sagt der Weltklimarat dazu?
Der Weltklimarat hat bereits in mehreren Berichten festgestellt, dass er eine „nachhaltige Intensivierung“ der globalen Landwirtschaft als einen wichtigen Baustein zur Bekämpfung der Erderwärmung betrachtet. Angesprochen sein dürften dabei vor allem Weltregionen, in denen heute noch eine kaum technologisierte und wenig fortschrittliche Landwirtschaft vorherrscht. Nachhaltige Intensivierung kann helfen, den Druck auf Naturflächen, und damit auf Kohlenstoffspeicher, zu mindern. So hält der Weltklimarat etwa in seiner Anfang März 2023 veröffentlichten Zusammenfassung des sogenannten Syntheseberichts seines Sechsten Sachstandsberichts fest, dass es im Bereich Landwirtschaft und Landnutzung viele Optionen zur Minderung von Treibhausgasen und zur Anpassung an den Klimawandel gibt. Im folgenden Satz wird er konkret:
„Der Schutz, die verbesserte Bewirtschaftung und die Wiederherstellung von Wäldern und anderen Ökosystemen bieten den größten Anteil an ökonomischem Minderungspotenzial, wobei die Verringerung der Entwaldung in tropischen Regionen das höchste Gesamtminderungspotenzial aufweist.“46
Einen Satz weiter ist zu lesen:
„Maßnahmen auf der Nachfrageseite (Wechsel zu nachhaltiger und gesunder Ernährung und Reduzierung von Lebensmittelverlusten/-verschwendung) und nachhaltige landwirtschaftliche Intensivierung können die Umwandlung von Ökosystemen sowie Methan- und Lachgasemissionen reduzieren und Flächen für Aufforstung und Ökosystemrestaurierung freisetzen.“47
Was die Expertinnen und Experten des IPCC unter einer nachhaltigen und gesunden Ernährung verstehen, erklären sie so:
„'Nachhaltig gesunde Ernährung' fördert alle Dimensionen der Gesundheit und des Wohlbefindens von Menschen. Sie hat einen geringen ökologischen Fußabdruck, ist zugänglich, erschwinglich, sicher und gerecht sowie kulturell akzeptabel, wie von der FAO und der WHO beschrieben. Das damit verbundene Konzept der 'ausgewogenen Ernährung' bezieht sich auf eine Ernährung, die auf pflanzlichen Lebensmitteln wie Getreide, Hülsenfrüchten, Obst und Gemüse, Nüssen und Samen sowie tierischen Lebensmitteln basieren, die in resilienten, nachhaltigen und kohlenstoffarmen Produktionssystemen hergestellt werden, wie im SRCCL (Sonderbericht Klimawandel und Landsysteme, Anmerkung) beschrieben.“48
Der Faktor Landnutzung kann auch Einfluss auf die Bewertung des Ausbaupotenzials der Bio-Landwirtschaft als bekannteste Form der extensiven Landwirtschaft haben. Bio- bzw. Ökolandwirtschaft kann laut Sechstem IPCC-Sachstandsbericht als „Form der Agrarökologie“ betrachtet werden, die durch „spezifische Prinzipien und damit verbundene Regeln bestimmt wird“. Die Bio-Regeln gewähren zum Beispiel Nutztieren mehr Platz. Die Verwendung synthetischer Dünger und Pflanzenschutzmittel ist explizit ausgeschlossen. Auch bestimmte Formen der Gentechnik sind in der Bio-Produktion verboten.
Bezüglich der Klimawirkung der Bio-Landwirtschaft ist beim Weltklimarat zu lesen:
„Es gibt Hinweise darauf, dass der ökologische Landbau in der Regel geringere Emissionen pro Flächeneinheit verursacht, während die Emissionen pro Produkteinheit variieren und vom Produkt abhängen.“49
Und weiter:
„Der ökologische Landbau erwirtschaftet in der Regel geringere Erträge. (...) Eine weitreichende Umstellung ohne fundamentale Veränderungen in Ernährungssystemen und Ernährungsweisen (...) kann zu einem Anstieg der absoluten Emissionen aus Landnutzungsänderungen führen, der durch einen größeren Flächenbedarf zur Aufrechterhaltung der Produktion bedingt ist.“50
Welches Fleisch beansprucht weniger Ressourcen: Huhn, Schwein, oder Rind?
Angenommen jemand isst gerne Fleisch, möchte aber durch seinen Fleischkonsum eine möglichst geringe Klimawirkung auslösen. Sollte die Person dann eher Rindfleisch oder doch lieber das von Schweinen und Hühnern essen? Auf dem Papier ist die Antwort eindeutig, denn nach aktuell gängigen Berechnungsmethoden verursacht ein Kilo Rindfleisch deutlich mehr Treibhausgase als ein Kilo Schweine- oder Geflügelfleisch. Vor allem deshalb, weil Rinder als Wiederkäuer bei der Verdauung das Klimagas Methan produzieren. Außerdem leben sie bis zur Schlachtung länger als Hühner oder Schweine und fressen daher mehr Futter pro Kilogramm Fleisch, das sie am Ende liefern. Vor allem die Bereitstellung des Kraftfutter-Anteils verursacht Treibhausgase, also von Getreide und anderen Pflanzen, die auf Äckern statt auf Grünland wachsen.
Und trotzdem argumentieren etliche Stimmen aus der Wissenschaft dafür, eher den Bestand an den vermeintlich klimaeffizienteren Schweinen und Hühnern zu verkleinern und den von Wiederkäuern sogar noch etwas zu erweitern. Der Grund für die Argumentation: Schweine und Hühner fressen fast ausschließlich Ackerfrüchte wie Weizen, Mais oder Soja, die wir Menschen, zumindest theoretisch, weitgehend selbst essen könnten. Ihr Futter steht also in direkter Nahrungskonkurrenz zum Menschen – im Gegensatz zu einem Rind, das, abhängig von der Fütterungsweise, hauptsächlich Gras frisst.
In Österreich wächst dieses Gras an Standorten, die sich aufgrund des Klimas und der Topografie ohnehin nicht für den Anbau von Lebensmitteln eignen und die oft schon seit Jahrhunderten und länger als Grünland genutzt werden. Nebenbei handelt es sich bei annähernd der Hälfte des heimischen Grünlandes um artenreiches extensives Grünland, das auch Tieren und Pflanzen Lebensraum bietet, die in einem reinen Wald keine Überlebenschance hätten. Mehr dazu findest du oben im Abschnitt Vom Wert des Grünlands.
Was also nun: Rind oder doch besser Schwein und Huhn? Im Gespräch mit Land schafft Leben verweist Werner Zollitsch, Nutztierwissenschaftler und Nachhaltigkeitsexperte der Universität für Bodenkultur (BOKU) unter anderem auf die Welt-Landwirtschafts-Organisation FAO: „Die FAO hat schon vor 20 Jahren gesagt, dass wir Tiere eigentlich nur auf Basis von Biomasse ernähren sollten, die wir Menschen selbst nicht verwerten können. Aus diesem Grund scheiden Schwein und Geflügel zwar nicht völlig, aber doch weitgehend aus.“
Eine etwas andere Sichtweise vertritt Peter Breunig. Der Professor für Landwirtschaftliche Marktlehre von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf sagt im Interview mit Land schafft Leben in Bezug auf die Klimawirkung von Fleisch: „So, wie wir die Tiere heute halten, gibt es eigentlich keine Diskussion, dass ein Huhn oder ein Schwein deutliche Vorteile gegenüber einem Rind hat.“ Das von vielen vorgebrachte Argument, wonach man ohne Wiederkäuer das vorhandene Grünland nicht verwerten könne, ist für ihn zu kurz gegriffen. „Dahinter steckt die Vermutung, dass viele Flächen auf der Erde keinen Nutzen bringen, außer man verwertet sie für die Tierernährung. Da ist aber nicht ganz richtig. In Wahrheit gibt es kaum Flächen, die durch landwirtschaftliche Nutzung nicht zu einem Klimanachteil führen.“ Gemeint ist damit die Überlegung, dass das Grünland weniger Kohlenstoff speichern kann, als wenn an gleicher Stelle ein Wald wachsen würde. Damit würde durch die Wiederkäuerhaltung auf dem Grünland Speicherleistung für Kohlenstoff verloren gehen.
Aus der Sicht von Breunig gibt es trotz allem gute Gründe, die Rinderwirtschaft an dafür geeigneten Standorten wie Österreich zu erhalten. Zum Beispiel, weil sie seit Jahrtausenden das Aussehen der Kulturlandschaft prägt und dadurch zur wichtigen Stütze für Biodiversität gewachsen ist. Oder weil hier produziertes Fleisch und Milchprodukte noch immer eine viel bessere Klimabilanz haben als die gleichen Produkte aus anderen Regionen. Solange der globale Konsum wächst, wäre es zum Nachteil des Klimas, diesen mit Produkten zu decken, die mehr statt weniger Treibhausgase verursachen. „Das kann aber nicht heißen, dass wir die entgangene Kohlenstoffspeicherung ausblenden. Das wäre ja, als ob eine Firma ihre Personal- und Stromkosten ausblendet, nur weil sie ein großartiges und gefragtes Produkt herstellt.“
Entgangene Kohlenstoffspeicherung als Klima-Kostenfaktor?
Peter Breunig spielt dabei unter anderem auf eine im Jahr 2018 im Wissenschaftsjournal Nature veröffentlichte Studie an. Darin haben vier Wissenschaftler unter der Leitung von Timothy D. Searchinger von der US-Universität Princeton einen vielbeachteten Vorschlag gemacht. Dieser sieht vor, für jedes Stück bewirtschaftetes Land die entgangene Kohlenstoffspeicherung zu berücksichtigen. Hintergrund ist die Überlegung, dass auf jedem Acker theoretisch auch natürliche Vegetation, in der Regel Wald, wachsen und dadurch mehr Kohlenstoff gespeichert werden könnte. Baut man stattdessen Weizen an, dann verursacht dies Klimakosten in Form der entgangenen Kohlenstoffspeicherung. Und diese müsste man bei der Berechnung von CO2-Fußabdrücken mitberücksichtigen.
Die Forscher treffen dieselbe Annahme allerdings auch für das Grünland und gehen davon aus, dass ein Wald aus Klimasicht gegenüber Wiesen und Weiden bedeutende Vorteile brächte. Dadurch würden die CO2-Kosten der Rinderwirtschaft noch einmal deutlich größer werden als derzeit angenommen. Auch Veganismus-Aktivisten argumentieren damit, dass es für das Klima besser wäre, auf Almen und anderen Grünlandflächen würde sich der Wald ausbreiten.51 Ob Wald allerdings tatsächlich wesentlich mehr Kohlenstoff speichern kann als eine Weide an derselben Stelle, ist innerhalb der Wissenschaft umstritten.
Thomas Guggenberger, Leiter des Instituts für Nutztierforschung an der HBLFA Raumberg-Gumpenstein, ist nicht der Ansicht, dass eine weitere Verwaldung Österreichs einen wesentlichen Klimanutzen brächte: „Grünlandböden sind in aller Regel sehr humusreich und haben hohe Kohlenstoffgehalte“, erklärt er. „Wächst dort ein Wald, kann dieser nur wenig zusätzlichen Kohlenstoff speichern. Der Kohlenstoff, der im Holz gebunden wird, unterschiedet sich vom Kohlenstoff im Gras lediglich in der Zeitspanne eines Umtriebs. Auf lange Sicht gesehen hält sich deshalb auch die Bindungsmöglichkeit des Waldes in Grenzen.“
Würde die zusätzliche Außernutzungsstellung von Grünlandflächen einen Beitrag zum Klimaschutz leisten? Sophie Zechmeister-Boltenstern, Leiterin des Instituts für Bodenforschung an der BOKU, beantwortet die Frage so: „Die Frage ist nicht banal. Die kurze Antwort lautet: jein. Man kann im Rahmen von einigen wenigen Jahrzehnten zusätzlich Kohlenstoff in der oberirdischen Baummasse im Wald binden, diese Bindung schwächt sich aber mit der Zeit hin zu einem Gleichgewicht ab. Ab dann wird genauso viel CO2 frei, wie gebunden wird.“
Auch Sophie Zechmeister-Boltenstern sieht in den Grünlandböden einen „sehr effektiven unterirdischen Kohlenstoffspeicher“. Daher sei vor allem auch die Umwandlung von Ackerland in Grünland eine wichtige Maßnahme zur zusätzlichen Kohlenstoffspeicherung, die in mehreren Ländern propagiert werde.
Ungeachtet der Klimawirkung ist allerdings unbestritten, dass das gänzliche Verwaisen, sprich die Aufgabe der landwirtschaftlichen Nutzung von Grünland und seine damit einhergehende Verwaldung speziell in der mitteleuropäischen Kulturlandschaft einen erheblichen Nachteil für die Biodiversität bedeutet. Dieser Nachteil wiegt laut EU-Umweltagentur im Vergleich mit anderen Einflussfaktoren schwerer als beispielsweise der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Mehr dazu findest du im Abschnitt Grünland als wichtiger Faktor für die Biodiversität.
Eine Rolle spielt dabei auch, dass eine abwechslungsreiche und strukturierte Kulturlandschaft von vielen Menschen als schön empfunden wird. Die Mischung aus Wäldern und Wäldchen, Wiesen und Weiden, Feldern, Gärten und Landschaftselementen wie Hecken, Obstbaumwiesen und vielem anderen lässt sich auch im Tourismus besser nutzen als reine, geschlossene Wälder.
Egal ob oder in welcher Höhe man den Flächenanspruch der Lebensmittelproduktion in Rechnung stellt: Die Produktion tierischer Lebensmittel verursacht alles in allem deutlich höhere globale Umwelt- und Klimakosten als die Produktion pflanzlicher. Gleichzeitig liefern Fleisch und Milchprodukte im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung hochwertige und leichtverdauliche Eiweiße und Mikronährstoffe und ermöglichen die standortgerechte und nachhaltige Nutzung vorhandener Ressourcen, etwa in Form des Up-Cyclings von für Menschen unverdaulichem Grünlandaufwuchs.
Die globale Nachfrage nach Lebensmitteln inklusive tierischer wächst. Und auch in Österreich sind tierische Produkte Teil des Speiseplans eines Großteils der Bevölkerung. Würden die heimischen Betriebe aufhören, tierische Produkte zu produzieren, dann müsste der Bedarf durch Importe gedeckt werden, solange solche Produkte konsumiert werden. Diese Importe würden zu großen Teilen unter ökologischen und sozialen Standards produziert, die unterhalb der österreichischen liegen.
Global gesehen rechnet die FAO damit52, dass die Produktion von Lebensmitteln bis zum Jahr 2050 um rund die Hälfte gegenüber dem Jahr 2013 gesteigert werden muss, um den erwarteten Bedarf decken zu können. Würde dies dadurch geschehen, dass die globalen Agrarflächen im selben Ausmaß erweitert würden, hätte dies dramatische Folgen für bestehende Kohlenstoffspeicher, sprich das Klima, genauso wie für die Biodiversität. Nicht zuletzt deshalb kommt auch eine Studie im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums im Jahr 2021 in Bezug auf Rindfleisch zu Schluss, dass die globalen Rindfleisch-Emissionen nicht zurückgehen, sondern vielmehr anwachsen würden, wenn Österreich seine Exporte einstellt und das Fleisch stattdessen andernorts produziert wird.53
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