Wenige Unternehmen machen
viel Hybridsaatgut
Die Verbindung von der Wildpflanze, die der Mensch für sich entdeckt hat, und der Kulturpflanze, die er heute für seine Ernährung verwendet, reicht über Jahrhunderte zurück. Auch die Vorfahren der Tomatenpflanzen, wie wir sie heute verwenden, waren irgendwann Wildpflanzen. Der Mensch hat sie über Jahrhunderte gezüchtet, an seine Bedürfnisse angepasst und dazu immer wieder neue Technologien entwickelt. Diese Anpassung hat den effizienten Tomatenanbau, wie wir ihn heute kennen, erst ermöglicht.
Wie in vielen Bereichen der Landwirtschaft züchten einige wenige Unternehmen das Saatgut für die meisten Bäuerinnen und Bauern auf der ganzen Welt. Sie haben sich auf die Züchtung spezialisiert. Über den internationalen Verkauf des Saatguts können sie die finanziellen Mittel für die aufwendigen Zuchtverfahren aufbringen. Die Züchter entwickeln Sorten, die für die jeweilige Anbauform, den Geschmack der Konsumentinnen und Konsumenten und den Transport optimiert sind. Außerdem sollten sie möglichst resistent gegen Schaderreger sein und verlässlich gute Ernteerträge liefern.
Arche Noah erhält Sortenvielfalt
Der Verein Arche Noah erhält Sorten, die nicht von internationalen Unternehmen kommen und im Erwerbsanbau keine Rolle spielen. Franziska Lerch ist für die Sortenentwicklung verantwortlich. Sie gibt die Abhängigkeit der Jungpflanzenproduzentinnen und -produzenten, Bäuerinnen und Bauern sowie letztendlich der Konsumentinnen und Konsumenten von einer Handvoll Züchtern zu bedenken. “Diese wenigen Firmen bestimmen, welche Sorten bei uns landen.” Bio-Bauer Reinhard Wressnigg verzichtet auf Hybridsorten, “weil es uns ein Anliegen ist, die Vielfalt an kleinen, alten, geschmackvollen, großen Sorten zu erhalten.”
Eigene Pflanzenvermehrung bei Hybridsorten ausgeschlossen
Der Anbau von gentechnisch veränderten Tomaten ist in der EU verboten. Importe würden an der Ablehnung der österreichischen Konsumentinnen und Konsumenten scheitern. Wolfgang Palme vom Lehr- und Forschungszentrum Schönbrunn äußert sich kritisch über Technologien in der Züchtung von Hybridsorten. “Das ist ein Kritikpunkt, den biologisch-dynamische Betriebe immer wieder äußern, dass sie keine Züchtungsgeschichte wollen, die so extrem an Labor und Biotechnologie geknüpft ist”, so Palme. An einem weiteren Detail stoßen sich Verfechterinnen und Verfechter von Sortenvielfalt und landwirtschaftlicher Unabhängigkeit. Die meisten Sorten sind Hybridsorten. Die Bäuerinnen und Bauern könnten Tomaten von internationalen Züchterbetrieben zwar selbst vermehren, hätten dann aber nicht das gewünschte Ergebnis wie im Jahr davor. Grund dafür ist die Technologie der Züchtung, die nur die eine verkaufte Generation perfekt entwickelt, weitere Kreuzungen hätten ganz andere, unerwünschte Eigenschaften. Diese Technologie führt zu optimierten Sorten.
Moderne Arbeitsteilung
Die Betreiber von großen Glashäusern sagen, dass sie die Tomaten auch nicht selbst vermehren würden, wenn es möglich wäre. Es sei ein zu großer Aufwand und spezialisierte Betriebe seien dafür besser geeignet. Der Wiener Glashaus-Gärtner Heinrich Weichselbaum spricht eine Praxis an, die Zuchtunternehmen anwenden. Sie ermöglichen in einem Land einem einzigen Gärtner den Anbau einer Sorte. Weichselbaum produziert auf 3,5 Hektar nur eine Sorte, dafür als einziger in Österreich. Auch ein weiterer großer österreichischer Produzent darf eine Sorte als einziger anbauen. Die Züchter vermeiden damit ein Überangebot einer Sorte und Konflikte unter den Erzeugern.
Jedes Saatgut einer Sorte muss die in der EU einheitlich geregelten Mindeststandards erfüllen. So müssen etwa mindestens 75 Prozent der Samen aufgehen. Diese Anforderung ist für Züchter keine große Herausforderung. In der Praxis gehen fast 100 Prozent der Samen auf. Eine weitere Anforderung ist, dass das Saatgut rein ist, also frei von den Samen anderer Pflanzen und Unkraut. Diese Prüfungen können durch offizielle Saatgutprüfstellen oder den In-Verkehr-Bringer nach international anerkannten Methoden erfolgen. Die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit AGES unterstützt die Saatguthersteller bei der Qualitätssicherung und prüft als Konsumentenschützer Stichproben aus dem Saatgutmarkt sowie die korrekte Kennzeichnung.
Bio-Sorten sind so gezüchtet, dass sie für den Bio-Anbau ohne chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und Mineraldünger besonders geeignet sind. Auch im Bio-Anbau dürfen Hybridsorten verwendet werden. Vorgeschrieben ist eigenes Bio-Saatgut, außer wenn dies nicht ausreichend am Markt vorhanden ist. Verboten ist im Bio-Bereich die Verwendung von CMS-Hybriden. Das CMS-Verfahren wird in der modernen Züchtung angewendet und wird von Kritikern als “Übergang zur Gentechnik” bezeichnet.
Projekt Bauernparadeiser
2009 starteten ein paar Bio-Tomatenbäuerinnen und -bauern das Projekt Bauernparadeiser. Sie bauen vielfältige Nicht-Hybridsorten an und machen sich von internationalen Züchtern unabhängig. Wichtig für die Beteiligten ist auch die Eignung für den jeweiligen Standort, die durch die eigene Sortenauswahl und -züchtung im Projekt ermöglicht wird. Das Projekt ist nicht auf Ganzjahreskulturen ausgerichtet, sondern für Anbau in Erde in Foliengewächshäusern. Fachlich unterstützt werden die Bäuerinnen und Bauern von Bio Austria, der Versuchsstation für Spezialkulturen Wies, dem Verein Arche Noah, der Universität für Bodenkultur Wien, der Gartenbauschule Langenlois und dem Lehr- und Forschungszentrum Schönbrunn.
Sorgfältige Auswahl der Sorten
Eine wichtige Entscheidung, die Tomatenerzeuger einmal im Jahr treffen können, ist die Sortenauswahl. Selbst große Erzeugerinnen und Erzeuger bauen oft nur ein bis drei Sorten an. Drei Monate vor dem Setzen bestellen die Tomatenbäuerinnen und -bauern beim Jungpflanzenproduzenten. Sie wählen die Sorten nicht einfach nach Gefühl in einem Katalog aus, sondern testen diese.
Entweder ein Teil des Betriebes ist für Sortentests im kleinen Rahmen vorgesehen oder es werden die Testergebnisse der Erzeugerorganisation herangezogen. Grundsätzlich gilt, je kleiner die Sorte, desto geringer sind die Erträge in Kilogramm. Je größer eine Sorte ist, desto mehr Erträge in Kilogramm liefert sie, aber desto geringer ist der Kilopreis, den sie dafür erhalten. Ausnahmen sind Sortenraritäten.
Erzeugerorganisationen testen das ganze Jahr über Sorten. Die Tomaten müssen schon im Test Eigenschaften wie Lagerfähigkeit und Geschmack erfüllen, um überhaupt im großen Stil angebaut zu werden. Für den Wiener Glashaus-Gärtner Thomas Merschl zählt neben zahlreichen Faktoren, die für Anbau, Ernteerträge und Aussehen der Tomatensorte wichtig sind, vor allem eines: “Der Geschmack ist für uns das Wichtigste, damit der Konsument die beste Qualität und das beste Produkt hat.” Der Trend in der internationalen Züchtung geht zu mehr Geschmack. Das Image der “wässrigen Tomate” legt die Gemüseart zumindest in Österreich immer mehr ab.
Aus dem Samen wird ein Pflänzchen
Österreichische Betriebe, die Tomaten-Jungpflanzen produzieren, können an einer Hand abgezählt werden. Die Tomate ist immer nur eine Pflanze von mehreren im Sortiment. Die Unternehmen haben sich auf das Einsetzen des Samens und das Heranziehen der Pflanze spezialisiert. Jede Jungpflanze produzieren sie im Auftrag der Bäuerinnen und Bauern, die Sorte und Zeitpunkt des Setzens aussuchen. Bio-Tomatenbetriebe müssen Bio-Jungpflanzen verwenden. Je nach Anbauform beim Betrieb, der bestellt hat, produziert der Jungpflanzenerzeuger in Torf oder einem erdelosen Untergrund.
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Torf ist Sediment, das in Mooren entsteht. Es lässt sich leicht in Würfel formen und hat eine für die Jungpflanzenproduktion gut geeignete Zusammensetzung. Auch Blumenerde besteht zum Großteil aus Torf. Das Tomaten-Saatgut wird zunächst in eine sehr kleine Menge an Torf gelegt. Tomaten haben eine vergleichsweise geringe Keimfähigkeit und werden daher vorselektiert. Etwa drei Tage nach der Aussaat geht die Tomatenpflanze auf. Mit einer bestimmten Größe kommt sie in einen zehn mal zehn Zentimeter großen Torfwürfel, in dem sie später auch gesetzt wird. Auch Bio-Jungpflanzen werden in Torf herangezogen. Bio-Austria limitiert den Torfanteil auf 70 Prozent.
Je nach Wunsch des Kunden wird die Tomatenpflanze veredelt. Meistens will der Kunde im Erwerbsanbau veredelte Pflanzen. Dabei wird sie mit einer anderen Pflanze verbunden, die gegen Krankheiten im Boden widerstandsfähiger ist und zu mehr Ertrag führt. So erhält man eine Pflanze, die von der Wurzel bis zur Spitze für den Erwerbsanbau bestmöglich geeignet ist. Jungpflanzenerzeuger Leo Scheer betont, dass die Gesundheit der Jungpflanze besonders wichtig ist. “Im Jungpflanzenstadium setzt man voraus, dass der Beginn optimal ist. Es gibt Vorgaben, wie diese Pflanze auszusehen hat. Dementsprechend setzen wir vorbeugend Pflanzenschutzmittel ein”, so Scheer.
Wie seine Kolleginnen und Kollegen setzt er bei konventionellen Pflanzen vorbeugend chemisch-synthetische Mittel ein. Scheer erklärt, deren Einsatz in diesem Alter der Pflanze könne nicht zu Rückständen auf den geernteten Tomaten führen. Bio-Pflanzen bekommen nur organische Pflanzenschutzmittel. Sie werden ebenfalls vorher behandelt und insgesamt öfter, weil die bei Bio erlaubten Mittel weniger wirksam sind. Auch das Düngen spielt in der biologischen und konventionellen Jungpflanzenproduktion eine Rolle, sobald der im Torf enthaltene Dünger nicht mehr ausreicht. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die optimale Temperatur für die Pflanze. Anders als im Bio-Tomatenanbau dürfen auch Bio-Jungpflanzen immer beheizt und künstlich beleuchtet werden, auch wenn keine Frostgefahr besteht.
Leo Scheer will den Anteil österreichischer Jungpflanzen in den Ganzjahreskulturen erhöhen. Derzeit können die heimischen Erzeuger den Bedarf der größten Glashäuser des Landes nicht decken. Scheer sieht in den wesentlich kürzeren Transportwegen klare Wettbewerbsvorteile. Die Pflanze habe weniger Stress, wenn sie sich weniger lang im Transportmittel befindet.