Große Produktionszuwächse in einem bereits gesättigten Inlandsmarkt?
Es erscheint absurd bei einem nominellen Selbstversorgungsgrad von gerade einmal 18 Prozent von einem gesättigten Markt zu sprechen. Bei genauerem Hinsehen erklärt sich allerdings der niedrige Selbstversorgungsgrad durch das völlige Fehlen heimischer Verarbeitungstomaten, wie sie etwa in Tomatenmark oder Ketchup zu finden sind. Diese kommen zumeist aus China oder Italien. Etwa zwei Drittel des Tomatenkonsums fallen auf diese Verarbeitungsprodukte. Der Frischmarkt aber wird in Zeiten der Haupternte sowohl von in- als auch ausländischen Tomaten “überschwemmt”. Das bringt die heimische Produktion gehörig unter Druck. In dieser Situation erscheinen groß angelegte heimische Produktionszuwächse zumindest fragwürdig.
In der Südoststeiermark ist 2016 ein großes Gewächshaus in Produktion gegangen. Zurzeit wird dort im biologisch kultivierten Teil der Anlage, das heißt in Erde, im Glashaus produziert - im größeren Stil ein Novum in der heimischen Tomatenproduktion. In der bis 2017 geplanten Endausbaustufe, welche überwiegend konventionell produzieren soll, würde die steirische Gesamtanbaufläche um ein Drittel, die geplante Erntemenge gar um mehr als 100 Prozent vergrößert. Bedenkt man, dass in der Haupterntezeit bereits jetzt der Inlandsmarkt übersättigt ist, wird klar, dass dies andere inländische Produzentinnen und Produzenten zusätzlich stark unter Druck bringen wird.
Projekt “Bauernparadeiser” - wo Forschung und Praxis neue (alte) Wege beschreiten
Sowohl der Handel als auch die großen Glashausproduzentinnen und -produzenten argumentieren mit dem eindeutigen Kundenwunsch nach einer ganzjährig zur Verfügung stehenden heimischen Tomate. Diesem Wunsch kann nur mit beheizten Glashäusern entsprochen werden. Die komplette Technik, das ausgeklügelte Know-how, die Baustoffe und auch die Mehrzahl der Jungpflanzen kommen aus den Niederlanden. Die Sortenzüchtung erfolgt ebenfalls zumeist dort. Dieses System ist eingespielt und ein verlässlicher Partner für den Lebensmitteleinzelhandel. Aber wo bleibt in diesem System der heimische erdgebundene Anbau im Folientunnel? Er besetzt die Bio-Nische. Diese wird ihm aber von ausländischer Biokonkurrenz streitig gemacht, welche aufgrund klimatischer Vorzüge früher auf den Markt kommen kann. Eine Gruppe kleiner bäuerlicher Produzentinnen und Produzenten sucht und geht seit ein paar Jahren neue Wege. Die Forschung hilft ihr dabei.
Wolfgang Palme, Forscher an der HBLFA für Gartenbau Schönbrunn, arbeitet mit seinem Team der Versuchsstation Zinsenhof an der Entwicklung alternativer Produktionsentwürfe auch im Tomatenanbau. Es geht dabei um Anbausysteme, die laut Palme: “im echten Sinn des Wortes saisonal, regional, ressourcenschonend und nachhaltig sind und mit dem Schlagwort 'Low-Input-Gemüsebau' überschrieben werden können.” So könnten auch von Klein- und Mittelbetrieben, die wirtschaftlich zunehmend unter Druck geraten, Produkte mit einer Geschichte angeboten werden, die sich aus der austauschbaren Massenware herausheben und gleichzeitig vielfältig und biologisch sind. „Die Zahl der Konsumentinnen und Konsumenten, die nach dem Grundsatz: Gutes genießen mit gutem Gewissen, besondere Produkte suchen und auch bereit sind, dafür überdurchschnittliche Preise zu zahlen, wird zusehends größer“, so Palme. Natürlich müsse man auch neue Vermarktungswege erschließen. Foodcoops, Direktvermarktung ab Hof, Gemüsekisten – es gebe viele Möglichkeiten und das Internet als Marktplatz biete interessante Perspektiven.
In den letzten Jahren habe sich in Österreich dieses Netzwerk aus Produzentinnen und Produzenten, Vermarktenden, Anwenderinnen und Anwendern sowie Konsumentenvertretenden als Alternative zur spezialisierten Ganzjahresproduktion auf Substrat und zum klassischen Lebensmitteleinzelhandel stark entwickelt. Der Wissenschaftler Palme spricht sich dafür aus, eine bestehende Parallelität der beiden grundverschiedenen Anbausysteme und dahinterstehende Philosophien zuzulassen. Er wolle sie nicht gegeneinander ausspielen. Die ganzjährige Massenware verlange der Handel – wie dieser sage – auf Wunsch der Kundinnen und Kunden.
Dass die HBLFA Schönbrunn mit ihrer Versuchsstation Zinsenhof auch die Arbeit der Gruppe „Bauernparadeiser“ unterstützt, hänge ebenfalls mit ihrem Anliegen zusammen, Selbstbestimmung und Lebensfähigkeit kleinstrukturierter heimischer Gemüsebetriebe zu fördern. Die Arbeitsgruppe „Bauernparadeiser“ unter der Leitung des Vereins Arche Noah, der sich für die Erhaltung und Nutzung von Sortenvielfalt stark macht, habe es sich gemeinsam mit Praxisbetrieben und Versuchsstationen in Österreich zum Ziel gesetzt, Praktizierende zu unterstützen, ihre bestens angepassten Hofsorten zu entwickeln und zu vermarkten. Dabei handle es sich um samenfeste Sorten, die im Gegensatz zu den im Handel üblichen Hybriden, auf den Betrieben vermehrt und selektiert werden. So versuche man sich aus der Abhängigkeit von internationalen Saatgutproduzenten herauszubewegen.
Wolfgang Palme erklärt das Konzept der "Low-Energy-Tomate":