Slow Food: ein Mahl mit Zeit

06.02.2025 / Essen & bewusster Konsum

Gut, sauber und fair soll unser Essen sein, wenn es nach der „Slow Food“-Bewegung geht. Was es damit auf sich hat, warum der Schlüssel zu einer bewussten Ernährung in der Bildung liegt und warum man im Urlaub besonders viel über sein Essen lernen kann, erzählt die Co-Vorsitzende von Slow Food Österreich Christina Kottnig im Interview.

 

Land schafft Leben: Der Name Slow Food ist den meisten wohl schon einmal begegnet. Aber wofür steht er eigentlich genau?

Christina Kottnig: Slow Food hat sich der Aufgabe verschrieben, gute, saubere und faire Lebensmittel zu schützen und zu bewahren. Gut steht für hochwertige und geschmackvolle Lebensmittel, sauber steht für eine umweltfreundliche, ökologische Herstellung und fair steht für gerechte Bedingungen für alle, die an der Produktion beteiligt sind, aber auch für die Beziehung zwischen Produzentinnen und Produzenten und Konsumentinnen und Konsumenten. Es geht uns neben einer nachhaltigen Landwirtschaft auch um die Bewahrung regionaler Esskulturen und traditioneller Gerichte. Im Laufe der Jahre hat sich Slow Food zu einer sehr breiten internationalen Organisation entwickelt, deren Aufgabengebiet sich heute über die ganze Wertschöpfungskette erstreckt – vom Saatgut bis zum Restaurant. 

 

Land schafft Leben: Wie ist die Idee für Slow Food entstanden?

Christina Kottnig: Slow Food ist vor über 40 Jahren in Italien entstanden. Damals kamen gerade die ersten Fast-Food-Ketten nach Rom. Essen wurde zu einer Beiläufigkeit, zu einem Mittel zum Zweck, um satt zu werden. Eine Gruppe Italiener, die eine große Leidenschaft für Wein und gutes Essen hatten, wollte dieser Entwicklung etwas entgegensetzen. Sie waren überzeugt: Essen spiegelt die Identität einer Region wider. Und wollten zeigen: Lebensmittel sind genau das – ein Mittel zum Leben. Und man sollte sich Zeit zum Essen nehmen und darauf achten, was man zu sich nimmt. Also haben sie Slow Food gegründet und damit auch schnell in vielen anderen Ländern großen Anklang gefunden.

 

Land schafft Leben: Ein wichtiger Bestandteil eurer Arbeit ist die „Arche des Geschmacks“. Was genau steckt dahinter?

Christina Kottnig: Das ist eine Initiative zur Bewusstseinsbildung rund um alte, regional angepasste Sorten und Rassen. Weltweit werden hier Lebensmittel katalogisiert, die vom Verschwinden bedroht sind. Es geht aber nicht nur darum, sie zu erhalten, sondern sie den Menschen auch zugänglich zu machen. Wir wollen, dass die Menschen erfahren, wo sie diese Produkte kosten und kaufen können.

Christina Kottnig ist Co-Vorsitzende von Slow Food Österreich 

 

Land schafft Leben: Welche Lebensmittel sind das zum Beispiel? Und haben wir in Österreich auch „bedrohte“ Lebensmittel?

Christina Kottnig: Ja, haben wir – viele sogar! Zum Beispiel das Krainer Steinschaf, eine alte, an den Alpenraum gut angepasste Schafrasse, die man für Wolle, Milch und Fleisch hält. Oder den Kaltenberger Roggen, eine widerstandsfähige Roggensorte aus dem Mühlviertel, die sich gut zum Brotbacken eignet. Oft gehen engagierte Produzentinnen und Produzenten noch einen Schritt weiter und schließen sich zu einem sogenannten Presidio zusammen, um gemeinsam eine Sorte oder Rasse sowie das dazugehörige Handwerk und Wissen zu erhalten. Ein Beispiel ist der Rote Veltliner in Niederösterreich: Winzerinnen und Winzer haben sich zusammengeschlossen, um diese alte Rebsorte zu bewahren und gemeinsam zu vermarkten. Sie tauschen sich über Anbaumethoden aus, veranstalten Verkostungen und präsentieren ihre Weine auf Messen. Diese Initiativen sind wichtiger denn je, weil alte Sorten und Rassen oft widerstandsfähiger sind und besser auf die Herausforderungen des Klimawandels reagieren.

 

Land schafft Leben: Neben dem Schutz alter Sorten gibt es auch Slow-Food-Märkte. Was unterscheidet diese von herkömmlichen Bauernmärkten?

Christina Kottnig: Ein wichtiger Unterschied ist, dass alle Produzentinnen und Produzenten selbst vor Ort sind. Das bedeutet, dass man direkt mit ihnen sprechen und alles über die Herkunft und Herstellung der Lebensmittel erfahren kann. So bekommen Konsumentinnen und Konsumenten einen viel bewussteren Zugang zur Lebensmittel-Produktion. Gleichzeitig ist die Direktvermarktung auch ein Weg, um das Überleben kleiner landwirtschaftlicher Betriebe zu sichern. Transparenz steht hier an oberster Stelle, deshalb sind auch keine Zwischenhändlerinnen und -händler erlaubt. Außerdem gibt es auf den Märkten ein Vollsortiment, man kann also seinen gesamten Wocheneinkauf dort erledigen, wenn man will. Und die Produkte müssen natürlich den Slow-Food-Kriterien entsprechen, also gut, sauber und fair produziert worden sein.

 

Land schafft Leben: Sollten wir alle unsere Lebensmittel wieder direkt beim Produzenten kaufen?

Christina Kottnig: Das wäre natürlich schön und wünschenswert, ist aber allein aus Zeitgründen nicht realistisch. Dennoch ist jeder Schritt in diese Richtung wichtig. Wenn ich zum Beispiel am Heimweg einen Gemüsebauern oder eine Brotbäckerin habe, dann kann ich mein Gemüse oder mein Brot ja hin und wieder dort kaufen. Wenn ich dann den Sauerrahm im Supermarkt kaufe, macht mich das nicht zu einem schlechten Menschen. Wir haben ja in Österreich das Glück, auch im Supermarkt sehr hochwertige regionale Bio-Lebensmittel kaufen zu können. Aber egal, wo ich anfange: Mit jeder Mahlzeit treffe ich eine Entscheidung und gebe einen Auftrag an die Landwirtschaft.

Land schafft Leben: Mittlerweile gibt es ja schon ganze Regionen, die sich den Konzept Slow Food verschrieben haben.

Christina Kottnig: Genau. Die erste Slow-Food-Reiseregion der Welt ist sogar in Österreich entstanden, im Kärntner Gail- und Lesachtal. In solchen Slow-Food-Regionen gibt es dann nicht nur entsprechende Hotels und Gastronomie, sondern auch Slow-Food-Erlebnisse für die Gäste. Die Menschen, die dort Urlaub machen, können nicht nur beim Frühstück den Käse von den Slow-Food-Produzentinnen und-Produzenten aus der Region essen, sondern dann am Nachmittag vielleicht einmal statt dem Wellness-Programm den Betrieb besuchen und selbst Käsen lernen. Das Thema Slow Food schlägt sich also in der ganzen Reise nieder. Der Urlaub ist eine gute Gelegenheit, sich mit dem Thema Essen intensiv auseinanderzusetzen – denn anders als oft im Alltag nehmen wir uns hier gerne Zeit dafür.

 

Hör gern rein in unsere Podcastepisode #190 mit Marianne Daberer, wenn du mehr zum Thema Slow-Food-Reiseregionen erfahren möchtest.

 

Land schafft Leben: Wenn es ein einziges Ziel gäbe, das Slow Food verfolgt, welches wäre das?

Christina Kottnig: Wir wollen, dass alle Menschen – unabhängig von ihrem Einkommen – Zugang zu gut schmeckenden, klimafreundlich und fair produzierten Lebensmitteln haben – sei es zu Hause, in Restaurants oder in der Verpflegung von Kindergärten, Schulen und Kantinen.

 

Land schafft Leben: Das Leben ist in den vergangenen Monaten teurer geworden, viele Menschen müssen sparen – auch in Österreich. Ist gutes Essen etwas Elitäres?

Christina Kottnig: Ich glaube nicht, dass der Zugang zu hochwertigem Essen in Österreich am Geld scheitert. Ein Würstelstand kann genauso die Kriterien von Slow Food erfüllen wie ein Sternerestaurant. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, das Bewusstsein für hochwertige Lebensmittel zu schärfen – auch in Bezug auf die Gesundheit, denn schlechte Ernährung hat ja oft langfristige Folgen, die sich erst später bemerkbar machen. Und da sehe ich keinen anderen Weg als über die Bildung. Deshalb gehen wir mit Slow Food auch in die Schulen und besuchen mit den Kindern und Jugendlichen dort zum Beispiel einen Slow-Food-Markt oder backen Brot. Der Lehrplan, den wir aktuell in den Schulen in Österreich haben, ist einfach nicht auf dem aktuellen Stand, wenn es um Ernährungsbildung geht. Hier liegt es wirklich auch an der Politik, etwas zu ändern.

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