Darm und Hirn

Was ist unser Darmhirn?

Unser Darm und unser Gehirn haben einen direkten Draht zueinander: Über die sogenannte Darm-Hirn-Achse sind die beiden wechselseitig miteinander verbunden. Auf diesem Kommunikationsweg können psychische sowie physische Vorgänge beeinflusst werden. Die Kommunikation ist in beide Richtungen möglich und verläuft über Nervenverbindungen, Hormone, das Immunsystem und eben Darmbakterien.

Einer der wichtigsten Kommunikationswege ist der Vagusnerv, der Signale in beide Richtungen übermittelt. Ungefähr achtzig Prozent der Nervenfasern des Vagusnervs senden Informationen von den Organen – insbesondere auch vom Darm – zum Gehirn, während etwa zwanzig Prozent Signale vom Gehirn zu den Organen leiten. Auch während der Nahrungsaufnahme spielt der Vagusnerv eine entscheidende Rolle, da er ausgehend vom Darm Sättigungssignale an das Gehirn sendet. 

Darüber hinaus spielen auch das Immunsystem, die Stressachse – genauer gesagt die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHNA) – und Stoffwechselprodukte der Darmbakterien eine zentrale Rolle im Informationsaustausch zwischen den beiden Systemen. Da das Nerven-Netzwerk des Darms sehr groß und chemisch ähnlich komplex wie das Gehirn ist, wird es auch “Darmhirn” genannt. 

Eine wichtige Grundlage für die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn bildet das Darmmikrobiom. Dieses beeinflusst nicht nur die Darm-Hirn-Achse, sondern spielt auch eine entscheidende Rolle für unsere körperliche und mentale Gesundheit.

Wie hängen Darmmikrobiom und Gehirn zusammen?

Und so funktioniert das mit den Darmbakterien im Detail: In jedem Darm gibt es ein Mikrobiom. Dieses kann man sich als Gemeinschaft von Mikroorganismen vorstellen. Dazu zählen Bakterien, Viren und Pilze, die miteinander leben und interagieren. Insgesamt sind zwischen rund 10 und 100 Billionen Mikroben in jedem menschlichen Darm angesiedelt, die insgesamt bis zu zwei Kilogramm ausmachen. Da sich nicht alle Mikroorganismen unter allen Bedingungen gleich wohl fühlen, sind in verschiedenen Abschnitten des Magen-Darm-Trakts auch unterschiedliche Bewohner zu finden. 

Für die körperliche und mentale Gesundheit relevant ist, dass die Zusammensetzung des Mikrobioms ausgewogen ist. Störungen der Diversität, also Vielfalt, aber auch des Anteils einzelner mikrobieller Gemeinschaften kann mit gesundheitlichen Beschwerden in Verbindung stehen. 

Das Darmmikrobiom ist aber viel mehr als nur eine Ansammlung von Bakterien – es agiert aktiv im Körper und steht in ständiger Wechselwirkung mit anderen Mikroorganismen. Dabei beeinflusst es zentrale Körperfunktionen wie unser Immunsystem, unsere Verdauung, unseren Stoffwechsel und sogar unser Gehirn. Das geschieht, indem es nützliche und schädliche Substanzen sowie Botenstoffe produziert, die den Darm und andere Organe steuern.

Das Darmmikrobiom, das wir mit auf unseren Lebensweg bekommen, ist von verschiedenen Einflüssen geprägt. Bestimmte Faktoren unseres Mikrobioms sind bereits vor der Geburt vorbestimmt: Neben der Ernährung der Schwangeren zählen auch allgemeine Lebensgewohnheiten sowie etwaige Medikamenteneinnahmen und der Stresspegel während der Schwangerschaft eine Rolle. 

Auch die Art der Geburt – ob vaginal oder Kaiserschnitt – hat einen Einfluss auf das Mikrobiom des Neugeborenen. Denn vor der Geburt sind Haut und Darm von Babys noch völlig frei von Mikroorganismen. Erst mit der Geburt beginnt die Besiedlung durch Mikroben, die den Aufbau des Darmmikrobioms unterstützen. 

Was passiert bei der Geburt mit dem Mikrobiom?

Kommt ein Baby auf natürlichem Weg zur Welt, werden wichtige Mikroben aus dem Geburtskanal der Mutter auf das Kind übertragen. Bei einem Kaiserschnitt entfällt diese Übertragung aus dem Geburtskanal, wodurch sich die mikrobiellen Gemeinschaften langsamer entwickeln und anders zusammensetzen. Bei diesen Babys findet man ein Mikrobiom, das Ähnlichkeiten mit dem Hautmikrobiom von Erwachsenen hat. Denn die ersten Bakterien stammen dann aus dem Hautkontakt mit den Angehörigen sowie dem Geburtspersonal im Kreißsaal. Da das Neugeborene nicht durch den Geburtskanal mit den Mikroorganismen der Mutter in Kontakt kommt, ist das Mikrobiom weniger vielfältig. Dies kann allerdings im späteren Leben ausgeglichen werden. 

Unabhängig von der Art der Geburt wird die Zusammensetzung der Darmmikroben des Neugeborenen maßgeblich durch den anschließenden Hautkontakt mit der Mutter und die Muttermilch geprägt. Etwa elf Prozent der Bakterienstämme der Mutter, darunter vor allem Bacteroides und Bifidobakterien, können sich im Darm des Kindes ansiedeln und während des ersten Lebensjahres hinweg stabil halten. 

Bei Kaiserschnittgeburten gibt es die Möglichkeit des sogenannten „Vaginal Seedings“. Dabei werden nach dem Kaiserschnitt mittels mütterlichem Vaginalsekrets Vaginalbakterien auf das Kind übertragen. Dies kann eine mikrobielle Übertragung sicherstellen, die bei einer natürlichen Geburt über den Geburtskanal geschieht.

Stillen kann einen positiven Einfluss auf die Mikroorganismen im Darm des Babys haben. Bei Neugeborenen, die mit Säuglingsmilch ernährt werden, werden dafür Probiotika zugesetzt. Darüber hinaus kann aber auch schon naher Körperkontakt, womit Haut-zu-Haut-Kontakt gemeint ist, das kindliche Mikrobiom nach der Geburt zusätzlich unterstützen.

Wie beeinflusst das Darmmikrobiom die Psyche?

Mit der Ernährung lässt sich direkt beeinflussen, wie das Mikrobiom zusammengestellt ist. Durch die bloße Anpassung der drei Hauptnährstoffe Fett, Eiweiß und Kohlenhydrate kann sich das Darmmikrobiom positiv oder negativ entwickeln. Eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung trägt dazu bei, dass Hormone, Stoffwechselprodukte und Mikrobiota im Gleichgewicht bleiben. 

Was unterscheidet das Mikrobiom von der Mikrobiota?

Unter der Mikrobiota versteht man die Gesamtheit der Mikroorganismen, wie Bakterien, Viren und Pilze, die in einem bestimmten Umfeld leben, etwa im Darm oder auf der Haut.

Das Mikrobiom umfasst die Mikrobiota sowie ihre Aktivität und die Bedingungen, die sie beeinflussen. Dazu zählt also die Gesamtheit aller Mikroorganismen, Bakterien, Viren und Pilze, die in einer bestimmten Umgebung leben - einschließlich ihres Erbguts, den Stoffen, die sie produzieren, und wie sie mit ihrer Umgebung und dem Körper zusammenwirken.

Das ist nicht nur für das körperliche Wohlbefinden und die Vorbeugung von Krankheiten wichtig, sondern kann auch Auswirkungen auf die Darmgesundheit und damit die psychische Verfassung haben. Der Magen-Darm-Trakt steht über verschiedene Informationskanäle in Verbindung mit dem Gehirn: Dazu gehören Hormone, Immunbotenstoffe, sensorische Neurone und Signale des Darmmikrobioms. Diese übermittelten Signale beeinflussen Stimmung, Emotionen, Appetit und sogar kognitive Funktionen. Besonders bei Depressionen wird deutlich, wie eng Ernährung und Psyche miteinander verbunden sind. Mit rund fünf Prozent aller Erwachsenen weltweit gehören Depressionen zu den häufigsten Erkrankungen.

Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Schizophrenie haben oft ein verändertes Darmmikrobiom. Das bedeutet, dass die Balance der Darmbakterien gestört ist, die für ein gesundes Mikrobiom relevant ist. Dabei fällt auf, dass jene Bakterien seltener vorkommen, die Butyrat produzieren – eine kurzkettige Fettsäure, die auch Buttersäure genannt wird. Butyrat schützt die Darmschleimhaut und beugt Entzündungen vor. Die Menge an Butyrat kann z.B. durch die Aufnahme ballaststoffreicher Lebensmittel wie Vollkornprodukte, Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte sowie durch resistente Stärke, wie sie in gekochten und abgekühlten Kartoffeln zu finden ist, gesteigert werden. 

Gleichzeitig gibt es eine erhöhte Anzahl an entzündungsfördernden Bakterien im Darm. Diese Veränderungen sind bei psychischen Erkrankungen häufig zu sehen, können aber keiner bestimmten Krankheit zugeordnet werden. Es ist also nicht möglich, allein durch eine Analyse des Mikrobioms zu erkennen, an welcher psychischen Erkrankung die Betroffenen leiden.

Was den Zusammenhang zwischen Körper und Psyche betrifft, so ist wichtig zu verstehen: Depressionen treten bei einem erheblichen Anteil körperlich Erkrankter als Komorbidität auf, das heißt, sie sind eine zusätzliche Begleiterkrankung zur Grunderkrankung. Depressionen sind außerdem eine multikausale Erkrankung. Das bedeutet, dass die Erkrankung durch viele verschiedene Faktoren beeinflusst wird. Meist handelt es sich um eine Kombination mehrerer Ursachen. Bei vielen der körperlich erkrankten Personen können auch Depressionen festgestellt werden. 

Andersherum können Depressionen auch zu körperlichen Beschwerden führen. Darüber hinaus zeigen sich bei psychischen Erkrankungen wie Essstörungen ebenfalls häufig zusätzliche psychische Erkrankungen wie Depressionen, aber auch Angststörungen oder Zwangserkrankungen, was die enge Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche unterstreicht. Fest steht, dass sich Depressionen immer unmittelbar, und zum Teil erheblich, auf das persönliche Wohlbefinden auswirken.

Sechseinhalb Prozent aller Erwachsenen in Österreich haben im Laufe ihres Lebens zumindest einmal mit einer depressiven Episode zu kämpfen, Tendenz steigend. Betroffene haben ein eineinhalb- bis sechsmal so hohes Risiko, an kardiovaskulären Störungen, Schlaganfall, Krebs, Diabetes, Epilepsie, metabolischem Syndrom oder Alzheimer-Demenz zu erkranken. 

Der Anstieg an Depressionen wird zum Teil ungünstigen Ernährungsgewohnheiten in der westlichen Welt zugeschrieben. Denn was, wieviel und in welcher Qualität wir essen, spielt eine wesentliche Rolle. Es besteht ein starker Zusammenhang zwischen Übergewicht, Adipositas und Depressionen. 

Ein Zusammenhang zeigt sich auch bei der Mikrobiom-Diversität von Menschen mit Anorexia nervosa und massivem Übergewicht: Bei beiden körperlichen Zuständen kommt es zu einem ausgehungerten Darmmikrobiom. Die sogenannte “alpha-Diversität” gibt an, wie viele verschiedene Bakterienarten im Darm leben. Sowohl bei anorexischen als auch adipösen Personen mit einem BMI über 30 war diese Vielfalt stark reduziert. Es kommt also in beiden Fällen zu einer Art innerem Artensterben. Während bei Anorexie die mangelnde Nahrungszufuhr den Bakterien die Lebensgrundlage entzieht, könnte bei Übergewicht eine einseitige Ernährung mit zu viel Zucker und Fett verantwortlich sein. Diese Erkenntnis verdeutlicht, wie eng das Mikrobiom mit Ernährungsgewohnheiten und dem allgemeinen Gesundheitszustand verknüpft ist.

Womit beschäftigt sich die Ernährungspsychologie?

Die Ernährungspsychologie erforscht, wie Inhaltsstoffe von Lebensmitteln die menschliche Psyche beeinflussen und welche psychologischen Mechanismen unser Essverhalten steuern. Dabei werden auch psychische Erkrankungen wie Depressionen berücksichtigt, da diese oft in Verbindung mit dem Ernährungsverhalten stehen. Ziel ist es, die biologischen und psychologischen Prozesse hinter Hunger, Appetit und Durst besser zu verstehen, um gezielt Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen Ernährung und psychischer Gesundheit zu gewinnen.

Die Zusammensetzung des Mikrobioms lässt sich sowohl in einem gesunden als auch in einem erkrankten Zustand durch die Ernährung beeinflussen. Studien zeigen durchaus eine Verbindung zwischen Depressionen und einem veränderten Darmmikrobiom. Unklar ist noch, welche Faktoren diese Veränderungen auslösen - etwa Ernährung, Bewegung oder Medikamenteneinnahme. Geforscht wird auch noch daran, warum sich das Mikrobiom trotz gleichbleibendem Essverhalten nach einer depressiven Episode möglicherweise wieder verändert.

Forschungsergebnisse zeigen, dass das Mikrobiom sehr anpassungsfähig ist. So kann sich seine Zusammensetzung durch eine veränderte Ernährung binnen nur eines Tages merklich wandeln. 

 

"Es braucht eine Weile, ehe man den Darm umgestellt hat. Ungefähr sechs Wochen lang schmeckt die neue Nahrung zunächst nicht so gut wie die alte, weil die Mikroorganismen das essen möchten, was sie bisher gegessen haben. Insofern muss man dann versuchen, sein Darmhirn zu überlisten. Am besten, indem man möglichst diverse pflanzenbasierte Nahrung isst."

Univ.-Prof. Dipl.-Biol. Dr.rer.nat. Gabriele Berg, Mikrobiomforscherin und Professorin an der TU Graz

 

Darmbakterien passen sich also schnell an kurzfristige Ernährungsumstellungen an, doch diese Effekte sind oft nur vorübergehend. Nur langfristige Änderungen in der Ernährung können den Stoffwechsel und die Aktivitäten der Bakterien nachhaltig beeinflussen. Ganz gleich also, zu welchem Essen man bisher gegriffen hat, eine Veränderung ist zu jedem Zeitpunkt möglich. Diese Flexibilität verdeutlicht den wichtigen Zusammenhang zwischen langfristiger Ernährungsweise und Darmgesundheit.
 
In einer Studie aus 2014 wurden zwei Ernährungsformen getestet und das Darmmikrobiom dabei untersucht: Eine pflanzliche Ernährung reich an Getreide, Gemüse, Hülsenfrüchten und Obst und auf der anderen Seite eine tierische Ernährung, die jede Menge Fleisch, Käse und Eier umfasste. 

Teilnehmende hielten jeweils fünf Tage lang eine der beiden Diäten ein. Dabei zeigte sich: Eine überwiegend auf tierischen Lebensmitteln basierte Ernährung veränderte das Mikrobiom schneller und deutlicher. Im Darm nahm die Anzahl jener Bakterien zu, die gallensäureresistent sind, also in einer Umgebung mit viel Gallensäure gut überleben können. Da Gallensäure vermehrt bei fettreicher Ernährung produziert wird, deutet dies darauf hin, dass die auf tierischen Lebensmitteln basierte Ernährung wohl sehr fettreich war. Gleichzeitig ging die Anzahl jener Bakterien zurück, die Ballaststoffe abbauen, da diese in einer Ernährung, die überwiegend aus tierischen Produkten besteht, weniger vorkommen als in einer pflanzenbasierten Ernährung. Die pflanzliche Ernährung hatte weniger extreme Effekte, förderte jedoch Mikroorganismen, die Kohlenhydrate fermentieren – ein Prozess, der sich positiv auf das Darmmikrobiom auswirkt. 

Bei jenen Teilnehmenden, die sich auch mit tierischen Lebensmitteln ernährten, kehrte das Mikrobiom nach zwei Tagen wieder zu seiner ursprünglichen Zusammensetzung zurück. Dies zeigt einerseits, wie sensibel der menschliche Darm auf Änderungen beim Essen reagiert, andererseits, wie rasch er sich anpassen kann. 

Vorübergehende Anpassungen bewirken jedoch auch nur temporäre Veränderungen. Für nachhaltige Erfolge ist eine dauerhafte Umstellung der Ernährung erforderlich. Zusammenfassend bedeutet dies, dass eine gezielte Ernährungsumstellung einen direkten Einfluss auf die Darmgesundheit haben kann. Dieses Zusammenspiel ist ein wichtiger Faktor, wenn man Krankheiten vorbeugen oder diese behandeln möchte.