Österreich ist eine “Bierinsel der Seligen”
Repräsentativen Umfragen zufolge sehen mehr als die Hälfte der Österreicher Bier als wichtiges Kulturgut an. Bei einer langen Biertradition und dem zweithöchsten Pro-Kopf-Verbrauch weltweit (hinter Tschechien und knapp vor Deutschland) kann man Österreich mit Fug und Recht als Bierhochburg bezeichnen. Aber ist Österreich auch ein Land, in dem die Bierkultur hochgehalten wird? Diese Frage bejahen alle Bier-Insider in den Filminterviews. Besonders was die Vielfalt der Brauereilandschaft, die angebotene Qualität auch im großen Maßstab und nicht zuletzt das zunehmende Interesse an einschlägiger Weiterbildung in Sachen Biergenuss und -kennerschaft anbelangt, sei Österreich eine Bierinsel der Seligen.
So weist etwa der Autor des “Österreichischen Bierbuches” Sepp Wejwar, Bierliebhabern besser bekannt als “Biersepp”, der durchschnittlichen heimischen Bierqualität ein ausgesprochen gutes Zeugnis aus. Darin unterscheide sich Österreich deutlich, etwa von Deutschland: “Hier (in Deutschland) haben wir bei den Massenbieren wirklich Biere, die man nicht trinken kann, weil sie Fehler haben, weil sie total langweilig sind.” Der Biersepp lobt auch den heimischen Lebensmittelcodex, der weniger steif als das unverbindliche, weithin bemühte deutsche Reinheitsgebot, “ein viel besseres Instrumentarium darstellt, das zum Beispiel die Verwendung künstlicher Flavours untersagt.” Und dabei aber der Kreativität keine so engen Grenzen setze wie das deutsche Pendant. Die Bierbranche in Österreich nennt er “Gottseidank stockkonservativ, weshalb man immer noch auf natürliche Rohstoffe schwört.”
Die Biersommelier-Ausbildung und die vom Institut für Bierkultur angebotene beerkeeper® Ausbildung sowie die von der im Salzburgischen Obertrum wirkenden Brauer-Legende Axel Kiesbye initiierte Diplombiersommelier-Ausbildung bringe viel für die heimische Bierkultur. Insbesondere die steigende Nachfrage nach diesen Kursen innerhalb der Fachkräfte in der Gastronomie, welchen als professionellen Multiplikatoren eine wesentliche Rolle zufalle. Jutta Kaufmann-Kerschbaum, Geschäftsführerin des Brauereiverbandes, betont in diesem Zusammenhang die Rolle der immer selbstbewusster werdenden Biertrinkerin. “In Österreich sind wir an der Weltspitze mit unserer Bier-Sommelière-Ausbildung. Über 40 Prozent davon sind Frauen. Bei den Bier-Jungsommelièren liegt der Anteil der Frauen bei 80 Prozent.”
Bier, ein Getränk mit Geschichte und Geschichten
“Bier hat keinen Erfinder. Solange es Kulturvölker gibt, gibt es Bier. Es wurde schon bei den Sumerern und bei den Babyloniern, bei den alten Ägyptern Bier gebraut,” lässt uns Jutta Kaufmann-Kerschbaum wissen, die die Geschicke des Brauereiverbandes lenkt. Sesshaftigkeit und der Anbau stärkehaltiger Getreide waren die Voraussetzungen für diese Art Urbiere. Seine Erfindung irgendwann um 6000 vor Christus eine Sache des Zufalls, wie Axel Kiesbye vermutet, der legendäre Bierbrauer und Erfinder des Diplom-Bier-Sommeliers.
“Das ist die Erfolgsgeschichte von Bier, dass man erfahren hat, wenn ich etwas vergäre oder fermentiere, wird es haltbar, es wird bekömmlich und es sterben Dinge ab, die mir einen schlechten Magen machen.” Denn verkeimtes Wasser sei über Jahrtausende ein riesiges Problem gewesen und Bier daher für den menschlichen Körper die beste, weil sicherste Flüssigkeitsaufnahme. Grundsätzlich eigne sich jedes stärkehaltige Getreide, egal ob Hafer, Mais, Emmer oder auch Reis für die Bierherstellung. Heute sind freilich weltweit Gerste zusammen mit Weizen und in Mittel- und Südamerika Mais die wichtigsten cerealen Rohstoffe für Bier. Dessen beispielloser Siegeszug nahm aber im Gebiet des fruchtbaren Halbmondes in Mesopotamien seinen Ausgang. Dieser stieß historisch irgendwann auf die römische Leitkultur in ihrer großen Ausbreitung und damit auf den bis dahin als Getränk unangefochtenen Wein. Bier war für die Römer eher ein billiges und schlechtes, kulturell als minderwertig eingestuftes Getränk. Noch heute spürt man in den einstigen römischen Kerngebieten, dem heutigen Italien und weiten Teilen vor allem des südlicheren Frankreichs die Dominanz des Weines über das Bier, wie sie sich auch in den jeweils konsumierten Mengen niederschlägt. In den weniger durchgängig von den Römern beherrschten Ländern konnte sich das klassische Bier viel mehr ausbreiten. So auch im heutigen Österreich, das zusammen mit den nördlichen und nordöstlichen Nachbarn Tschechien und Deutschland daher auf eine besonders reich entfaltete Bierkultur bauen kann.
1384 wurde die erste Brauerei urkundlich in Wien erwähnt, welche das war, kann man heute nicht sagen. Um 1900 soll es ca. 1000 Brauereien in Österreich gegeben haben. Vor dem Aufkommen gewerblicher Brauereien lagen lange Jahrhunderte des Hausbrauens. Das Bier war fest in Frauenhänden, so wie das Brotbacken. Später erst im gewerblichen und dann industriellen Maßstab ist Brauen zur Männerarbeit geworden.
Im Mittelalter schrieben vor allem Klöster die Biertradition fort, bevor sie in die Hände von Adeligen oder Bürgerinnen und Bürgern überging. Es gab viele kleine Braurechte. Häufig auch im Rahmen einer Gastwirtschaft. Um 1800 wurden viele Braurechte dann zusammengefasst zu größeren Brauereien. Ein typisches Beispiel für die damals häufige entstehenden Genossenschaftsbrauereien ist die bis heute bestehende Braukommune in Freistadt.
Lange Zeit waren alle Biere obergärig. Also von Hefen vergoren, die nach oben steigen und warm, bei Zimmertemperatur, vergären. Untergärige Biere, die heute vorherrschen, kamen dann sehr viel später. Die dafür nötige Kühlung wurde lange Zeit dadurch erreicht, dass man Eis aus Seen herausgeschnitten und dann mühsam mit Fuhrwerken in die Brauerei transportiert hat. So konnte man die abgesetzte Hefe ernten, und durch das gezielte Vermehren dieser abgesetzten Hefe entstand die untergärige Hefe aus dieser natürlichen Selektion. Bis März konnte man untergäriges Bier brauen, bis das Eis weggeschmolzen war, daher der Name Märzen. Erst die Erfindung der Kältemaschine im Jahr 1871 machte es möglich, untergäriges Bier auch nach dem März zu produzieren.
Bier hat vermutlich die längste Zeit über ganz anders geschmeckt. Hopfen, verantwortlich für die heute typischen Bitternoten, kommt erst seit dem 16. Jahrhundert standardmäßig ins Bier. Und auch die bis etwa Anfang der industriellen Revolution vorherrschenden obergärigen, natürlich überall vorkommenden Hefen müssen das Bier süßer gemacht haben als heute, da sie weniger effektiv den Zucker zu Alkohol vergären als die eigens gezüchteten Kulturhefen. Diese wurden circa 1860 erstmals erzeugt.