Kurze Wege mit kleinem CO2-Rucksack
Im internationalen Vergleich legt der Großteil des heimischen Getreides vergleichsweise kurze Wege zurück, bis es zu Mehl vermahlen wird. Die großen und kleineren Mühlen des Landes beziehen ihren Rohstoff in einem recht engen Sinn aus der Region. In Österreich erzeugtes Mehl aus österreichischen Rohstoffen kann daher jedenfalls in dieser Hinsicht als ein klimafreundlich gewonnenes Lebensmittel bezeichnet werden.
Peter Stallberger, Geschäftsführer von GoodMills Österreich, der größten Mühlengruppe des Landes, spricht im Filminterview von einer sehr kurzen Logistik. Aufgrund der guten Qualitäten in der Region lege das an die beiden Standorte in Schwechat und die Mühle im steirischen Raab angelieferte Getreide durchschnittlich unter 80 km zurück. Mit der Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt Wien bzw. der zweitgrößten Stadt des Landes Graz habe man die wichtigsten Märkte außerdem direkt vor der Haustür. Mehl, so Stallberger weiter, kann maximal 200 bis 300 Kilometer per LKW wirtschaftlich transportiert werden. Die potentiellen Exportmärkte sind daher eingeschränkt.
Auch die größte private Mühle Österreichs im oberösterreichischen Grieskirchen bezieht laut ihrem Geschäftsführer Markus Haberfellner das Getreide aus regionalen Quellen, sprich aus Ober- und Niederösterreich. Er regt im Filminterview an, den Begriff „regional“ nicht in allen Fällen an die Rohstoffherkunft Österreich zu binden. Für Mühlen in Westösterreich sind die Transportwege aus süddeutschen Weizenanbaugebieten wesentlich kürzer als etwa aus dem Weinviertel.
Auch für Lisa Dyk, Geschäftsführerin der gleichnamigen Bio-Mühle im Waldviertler Raabs an der Thaya, ist der grenznahe Export von heimischen Mehlspezialitäten kein Widerspruch zu gelebter Regionalität. So finden ihre Spezialmehle in Tschechien einen nennenswerten Exportmarkt, der ihr hilft, ihre kleine Mühle als regionalen Arbeitgeber und als sicheren Abnehmer für Bio-Bauern aus der Umgebung zu erhalten.
International gesehen sind kurze regionale Kreisläufe beim Getreide aber eher die Ausnahme. Insbesondere in den großen Frachthäfen der EU, wie Hamburg oder Rotterdam werden Tag für Tag gigantische Mengen an Getreide aus Übersee verladen und verlassen Europa mit der Destination Afrika.
Etwas längere Wege mit etwas größerem CO2 Rucksack
Etwa die Hälfte der heimischen Weizenernte geht in den Export. Das hängt damit zusammen, dass Österreichs Haupt-Weizenanbaugebiete – insbesondere das Weinviertel und der pannonische Raum – aufgrund des dort herrschenden trockenen Klimas im internationalen Vergleich überdurchschnittliche Qualitäten, also durch hohen Proteingehalt ausgezeichnete Weizenpartien, erzeugen kann. Diese Qualitäten werden zum Beispiel besonders im oberitalienischen Raum nachgefragt, wo sie zu Brotspezialtäten verarbeitet werden, die dann ihrerseits wieder zum Teil in den Export gehen. Davor aber wird das Getreide per LKW zu den italienischen Mühlen verbracht, da diese nicht ausreichend ans Eisenbahnnetz angeschlossen sind.
Österreichisches Bio-Getreide wiederum findet vor allem in der Schweiz eine nennenswerte Nachfrage, wohin es ebenfalls der LKW transportiert.
Dem zu guten Preisen aber mit größerem CO2-Rucksack per LKW exportierten, hochqualitativen Weizen, steht Weizen von niedrigerer Qualität gegenüber, der per Schiff Donau aufwärts aus den Donauanrainer-Staaten aber insbesondere auch aus der Schwarzmeerregion importiert wird. Vor allem die Ukraine, Kasachstan sowie der Süden Russlands mausern sich in den letzten Jahren aufgrund des milder werdenden Klimas zu einer wahren Kornkammer globalen Ausmaßes. Österreich importiert auf diesem Weg vor allem Futterweizen für die Nutztiere, also Weizen niedrigster Qualität, der hierzulande zu wenig produziert wird. Zusätzlich verbraucht die industrielle Verwertung zu Bioethanol knappe 500.000 Tonnen pro Jahr, wovon ein großer Teil aus den Importen stammt.
Klima wandelt Zuchtziele
Saatzucht ist weltweit ein sehr intensives Forschungsfeld, auf dem in den vergangenen Jahrzehnten enorme Fortschritte erzielt wurden. Getreideforschung und Saatzucht haben seit 1970 die Erträge bei gleicher Ressourcen-Ausnutzung weltweit verdoppelt.
Ein Teil der Forschung befasst sich etwa damit, die Reifephasen des Korns kürzer werden zu lassen. Ein anderer Teil versucht das Wachstum der Pflanze zu beeinflussen, indem kürzere Halme gezüchtet werden. Statt die ganze Wachstumskraft in den Halm zu investieren, kann die Getreidepflanze bei einem geringeren Halmwachstum mehr Kraft für den Aufbau der Körnerfrucht erübrigen. Geforscht wird auch in den Kategorien Resistenz gegen Krankheiten, Klimaschwankungen und Ertragsdichte.
Das bestätigt im Filminterview auch Helmut Wagentristl, der die BOKU-Versuchswirtschaft in Groß-Enzersdorf leitet: „Seit der Sesshaftwerdung hat der Mensch Züchtung betrieben. Ursprünglich war das natürlich Auslesezüchtung. Das hat sich ganz einfach gestaltet, indem er die besten Körner aufgehoben hat für den nächstjährigen Anbau. Das war das Wertvollste, das man nicht verzehrt hat. In neuerer Zeit haben wir zwei Züchtungsrichtungen: Einerseits auf Ertrag und Ertragsstabilität, die andere sind die Resistenzzüchtungen, dass die Sorten wenig krankheitsanfällig sind.“
Oberstes Zuchtziel wird immer die Ertragssicherheit sein. Änderungen der Niederschlagshäufigkeit und -intensität, wie sie dem Klimawandel geschuldet sind, heißt für die Züchtung aber auch, dass eine möglichst große Vielfalt der Sorten gewährleistet wird. So sind etwa nicht weniger als 268 Getreidesorten in der österreichischen Sortenliste zugelassen. Biodiversität ist das Schlüsselwort, der Genpool der verschiedenen Getreidesorten soll durch Einkreuzen alter und wenig angebauter Arten immer wieder aufgefrischt werden.
Dem häufig gehörten Mythos, dass „alte Sorten“ generell gesünder und widerstandfähiger wären, wird allerdings vonseiten der heimischen Saatgutzüchter unisono widersprochen. Wohl wird alte Genetik konserviert, um die Variabilität nicht zu gefährden. Aber in der Praxis kommen praktisch nur neue, hochleistende Züchtungen zum Einsatz mit einer durchschnittlichen Lebensdauer von 5 bis 6 Jahren. Neuerdings unter dem Label „Urgetreide“ angebotene Sorten wie Emmer und Einkorn erleben zwar eine gewisse Renaissance im Nischensegment. Alfred Mar, Lebensmitteltechnologe an der BOKU Wien verweist im Filminterview aber auf den Umstand, dass diese Sorten in der amtlichen Statistik gar nicht extra ausgewiesen sind, was ihre quantitative Bedeutung widerspiegle.
Bio Hochburg Österreich?
Österreichs Getreideproduktion kann sich mit Fug und Recht Bio-Europameister nennen. Die Statistik zeigt dabei, dass der Bio-Ackerbauer im Schnitt mittlerweile größere Flächen bewirtschaftet als sein konventioneller Kollege. Und noch etwas in diesem Zusammenhang erscheint erwähnenswert: Obwohl wir wie kein anderes Land Bio produzieren, konsumieren wir innerhalb Europas bei weitem nicht am meisten Bio.
Hier liegen Länder wie die Schweiz oder auch Dänemark klar vor Österreich. Auch Bio-Getreide wird zu einem recht hohen Prozentsatz exportiert. Wobei nicht etwa der große Nachbar im Norden wichtigstes Exportland ist, sondern der kleine Nachbar im Westen. Die Schweiz schätze laut dem Getreidemarktexperten der RWA, Ernst Gauhs, die höheren Bio-Standards, die Österreich auch seiner Getreideproduktion unterlegt. Während der deutsche Bio-Markt eher ein Preiskampf-Markt sei, wo sich das teurere österreichische Bio zusehends der Bio-Konkurrenz aus osteuropäischen Herkünften geschlagen geben muss.
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