Die Liste der Themen, die im Kontext der Schweinefleischproduktion aus ökologischer Sicht diskussionswürdig erscheinen, ist lang. Je nach Blickwinkel werden vorliegende Zahlen und Daten ganz unterschiedlich interpretiert. Gerade beim Schwein ist die untrennbare Verflechtung der heimischen Produktion in gesamteuropäische, ja globale Zusammenhänge ein nicht zu leugnendes Faktum. Dies macht eine Bewertung der spezifisch österreichischen Produktionsvoraussetzungen nach ökologischen Nachhaltigkeitskriterien schwierig bis unmöglich. Hier können nur ein paar Aspekte aufgezeigt werden, die besonderes öffentliches Interesse beanspruchen.
Tierwohl: der fragende Blick der Ethik
Christian Dürnberger vom Messerli Forschungsinstitut in Wien beschäftigt sich mit ethischen Fragen der Nutztierhaltung. Ethik richtet den Blick auf gängige Moralvorstellungen und hinterfragt diese. Aus dieser Sicht heraus sei zunächst einmal festzustellen, dass das Schwein leidensfähig ist. Dies, so Dürnberger, könne uns moralisch nicht egal sein, „das heißt, wir sind dafür verantwortlich, dem Schwein Leid zu ersparen. Hierin zeigt sich der Gedanke des klassischen Tierschutzes. Seit geraumer Zeit allerdings stellen sich viele die Frage: Genügt das? Oder will ein Tier wie ein Schwein nicht mehr, als ‚nur‘ ein leidensfreies Leben? Das Konzept ‚Tierwohl‘ setzt sich genau mit diesen Aspekten auseinander, die über die Leidensfreiheit hinausgehen.“ Manche Akteure in der Schweineproduktion unterschätzen laut Dürnberger noch immer, dass es mehr und mehr Menschen gibt, denen bloßes Leidersparnis bei Nutztieren zu wenig ist - sie wünschen sich nicht nur Schutz vor Leiden für die Tiere, sondern auch Tierwohl.
Wie aber ist Tierwohl definiert bzw. welche möglichen objektiven Kriterien ermöglichen eine auch praxistaugliche Annäherung an das Problemfeld Tierwohl? Isabel Hennig-Pauka, zum Zeitpunkt unseres Filminterviews Leiterin der Schweineklinik an der Veterinärmedizinischen Uni Wien veranschaulicht, was mit Tierwohl gemeint ist, anhand des Konzepts der fünf Freiheiten. Demnach spreche die Wissenschaft davon, dass dem Schwein
1. Freiheit von Hunger und Durst, also Zugang zu frischem Wasser und gesundem Futter,
2. Freiheit von haltungsbedingten Beschwerden,
3. Freiheit von Schmerz, Verletzungen und Krankheit,
4. Freiheit von Angst und Stress
gewährt werden müsse und die 5. Freiheit sich auf das Tierwohl beziehe. Diese verlangt die Freiheit zum Ausleben normaler Verhaltensmuster, das heißt ausreichendes Platzangebot, Gruppenhaltung, etc. Hier geht es nicht mehr um Leid, sondern darum, dass das Schwein seine natürlichen Verhaltensmuster leben kann. Hier geht es über den klassischen Tierschutz hinaus.
Eine radikale Position in diesem Zusammenhang nimmt der Schweinebauer Norbert Hackl aus der Oststeiermark ein. Seine „Sonnenschweine“ leben weitestgehend artgerecht, wie er überzeugt ist. Sie verfügen über ein vergleichsweise enormes Raumangebot, leben ähnlich ihren wilden Verwandten das ganze Jahr über im Freien, können dem Bedürfnis nach Suhlen und Wühlen ungehemmt nachgehen. Für Hackl ist dies die einzig vertretbare Form der Schweinehaltung. Auch Standard-Bio-Haltung lehnt er für sich selbst ab.
Werner Hagmüller, Leiter der Bio-Schweine-Forschung in Thalheim bei Wels ist selbst Bio-Schweinehalter und Tierarzt. Er gibt zu bedenken, dass eine Schweinehaltung, die sich allzu sehr an den Gegebenheiten orientiert, wie sie die „freie Natur“ bietet zur Romantisierung neigt. Wild lebende Schweine sind etwa schon hinsichtlich der oben angeführten Freiheiten schlechter dran als domestizierte. In der freien Natur ist ein stets gefüllter Futtertrog, ist Schutz vor Kälte, vor Parasiten, vor Fressfeinden nicht gegeben. Die Sterblichkeit etwa bei Jungtieren ist um ein Vielfaches höher und der Kampf ums Überleben sozusagen täglich Brot. Er plädiert daher für einen pragmatischen Zugang und warnt vor unzulässigen Vergleichen mit der angeblich so „freien Natur“.
Tierethiker Dürnberger sieht Tierwohl als eine gesellschaftliche Aufgabe. Es lässt sich nur realisieren, wenn die Gesellschaft das ermöglicht. Der Landwirt kann innerhalb eines vorgegebenen Rahmens Dinge gut oder schlecht machen - die Rahmenbedingungen selbst allerdings kann er nur sehr bedingt ändern. Ethik soll die Menschen dazu bringen, über ihre Einstellung und ihr Handeln nachzudenken. Die Schwierigkeit sei, dass Bauern häufig hochgradig verunsichert reagieren. Sie stehen am moralischen Pranger und verfallen in eine einseitige Rechtfertigungshaltung. Gelingt der Schritt aus dieser heraus, wird dem Landwirt klar: Ich bin nicht der Sündenbock für das ganze System. Erst dann werden neue Handlungsoptionen frei.
Antibiotika und multiresistente Keime
Die Diskussion rund um multiresistente Keime und deren Zusammenhang mit Antibiotikaeinsatz im Nutztierbereich hat heute eine breite Öffentlichkeit erreicht. Vereinfacht gesagt, liegt das Problem darin, dass durch vermehrten Antibiotikaeinsatz sowohl in der Human- als auch in der Tiermedizin sich gehäuft Resistenzen in den zu bekämpfenden Bakterienstämmen bilden und so eine notwendige Behandlung erschweren. Dies hat insbesondere für bereits immungeschwächte Personen (ältere Menschen, Kranke) gravierende, immer öfter auch tödliche Folgen. Alarmierende Befunde etwa aus Deutschland haben es bis auf die Titelseite so renommierter Blätter wie “Die Zeit” oder “Der Spiegel” gebracht. Das Thema ist hochkomplex und wird entsprechend innerhalb der Wissenschaft heftig debattiert. Die Schweinebranche steht hier besonders in der Kritik. Gehen doch rund 66,5 Prozent der gesamten im Nutztierbereich verwendeten Antibiotika in die Schweinehaltung. Experten betonen freilich, dass reine Mengenangaben der Komplexität der Problematik nicht gerecht werden.
Sebastian Theissing-Matei von Greenpeace Österreich ist der Überzeugung, dass die besonders unzureichenden Bedingungen in der konventionellen Schweinehaltung strukturell zu einem erhöhten Krankheitsdruck und entsprechend zu häufigen Antibiotikaeinsätzen führen. In der biologischen Haltung hingegen würden “viel viel weniger Antibiotika” eingesetzt. Dieser einfachen Darstellung wird von verschiedenen Seiten widersprochen. Auch wenn alle von uns befragten Experten und Praktiker übereinstimmend weitere Anstrengungen befürworten, den Antibiotikaeinsatz in der Schweinehaltung zu reduzieren, ergibt sich im Detail ein wesentlich komplexeres Bild, als es Greenpeace zeichnet.
Ulrich Herzog vom Bundesministerium für Gesundheit und Frauen steht Österreichs oberster veterinärmedizinischer Behörde vor. Unsere im Filminterview gestellte Frage, ob es gegenwärtig valide Zahlen gebe, die einen niedrigeren Antibiotikaeinsatz in der biologischen Schweinehaltung zweifelsfrei bestätigen, verneint der Beamte. Zwar geht auch er davon aus, dass der Antibiotikaeinsatz in Bio niedriger sei, aber genaue Zahlen gibt es dazu (noch) nicht. Die von Greenpeace vorgebrachte Behauptung, wonach “Massentierhaltung” strukturell zu einem erhöhten Antibiotikaeinsatz führe, hält Herzog für unrichtig. Zwar gebe es in der Schweinehaltung nach wie vor bestimmte Problembereiche bzw. auch veraltete Zugänge zum Thema Antibiotika, demgegenüber stünden aber Bemühungen der ganzen Branche um verstärkte Aufklärung über dieses sensible Thema. Herzog sieht hier den Ball bei den Tierärzten und den Landwirten. Verbesserungen verspricht er sich dadurch, dass seit 1. April 2017 die eingesetzten Antibiotikamengen vollständig aufgezeichnet werden und rückverfolgbar sein müssen. Auch betont er, dass entgegen landläufigen Behauptungen der Antibiotikaeinsatz in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten nicht zu- sondern abgenommen habe und dass Österreich im internationalen Vergleich nicht schlecht dastehe.
Werner Hagmüller, Bio-Schweineforscher und Veterinär relativiert die Vorwürfe gegen die Schweinebranche im Zusammenhang mit der Resistenzproblematik. Erstens müsse man sich genau anschauen, welche Antibiotika hier wie dort zum Einsatz kommen. Die für die Resistenzbildung besonders relevanten Antibiotikaklassen, die sogenannten Reserveantibiotika, würden etwa wesentlich öfter in der Humanmedizin als in der Tiermedizin angewendet. Es bringe aber nichts, wenn sich hier Human- und Tiermedizin gegenseitig den Ball zuspielen. Jeder Bereich sei gefordert. In dasselbe Horn stößt Hagmüllers Kollegin Isabel Hennig-Pauka, ebenfalls Tierärztin und Forscherin. Seit ca. 10 bis 15 Jahren komme man in der Schweinehaltung weg von einem lange Zeit allzu leichtfertig gehandhabten Antibiotikaeinsatz. Diese Entwicklung müsse konsequent von der ganzen Branche weiter vorangetrieben und als One-Health-Konzept noch mehr als bisher von den Kollegen in der Humanmedizin mitgetragen werden.
Nahrungskonkurrenz: Frisst das Schwein dem Menschen etwas weg?
Seit ca. 10.000 Jahren hält der Mensch Schweine. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein diente dabei das Schwein als idealer Wiederverwerter von Lebensmittelabfällen aus Küche und Industrie. Zum Teil ist das auch heute noch so, etwa wenn Beiprodukte aus der Ölgewinnung, wie Soja- oder Rapsextraktionschrot, als Eiweißfutter zum Einsatz kommen. Seit der BSE-Krise sind aber Schlacht- und Küchenabfälle vom Speiseplan der Schweine gestrichen worden. So wurde aus dem Allesfresser Schwein, mit einem dem Menschen sehr ähnlichen Verdauungssystem, gezwungenermaßen ein Vegetarier, manchmal sogar Veganer und direkter Nahrungskonkurrent des Menschen.
Branchenvertreter weisen darauf hin, dass Futterpflanzen zum größten Teil nicht direkt für den Menschen verwertbar wären. Beim Weizen beispielsweise gibt es verschiedene Qualitätsstufen. Ein zu niedriger Proteingehalt macht den Weizen für die Brotherstellung ungeeignet. Dieser kann jedoch an Schweine verfüttert werden. Dennoch ist der Umstand nicht zu leugnen, dass die Schweineproduktion (das gilt auch für Geflügel und bei nicht wiederkäuergerechter Fütterung auch für das Rind) global gesehen agrarisch nutzbare Fläche in riesigem Ausmaß für seine Futtergewinnung in Anspruch nimmt, welche zumindest teilweise direkt der menschlichen Ernährung dienen könnte.
Zukünftig, so Werner Hagmüller, Bio-Schwein Forschungsleiter in Thalheim bei Wels, müsse man deshalb noch mehr als jetzt über Alternativen zum reinen Getreidefutter für Schweine nachdenken. In seiner Forschungsanstalt etwa werde jetzt schon mit Raufutter (Grassilage, Heu, Stroh) als Futterkomponente erfolgreich experimentiert. Auch regt Hagmüller an, zur Zeit gesetzlich nicht erlaubte Futterquellen für das Schwein wieder ins Gespräch zu bringen und neu zu erschließen. Er denke dabei an Reste aus der Gastronomie, Küchenabfälle und aussortierte Kartoffel, Backwaren, Tier- und Knochenmehl. Hier müsste allerdings ein Weg gefunden werden, die damit verbundenen Hygieneauflagen kostenmäßig in den Griff zu bekommen.
Bodengebundene Landwirtschaft
Johann Schlederer, Geschäftsführer der sogenannten “Schweinebörse”, des bedeutendsten nationalen Schweinevermarktungsverbandes, betont eine österreichische Besonderheit. Hierzulande erzeugen die Schweinebauern den überwiegenden Anteil an Futtermitteln selbst am Betrieb. Nur Eiweiß kommt aus Nord- und Südamerika. Die Schweinebetriebe sind dort angesiedelt, wo auf Ackerflächen Futter produziert wird. Dieselben Ackerflächen nehmen dann auch die in der Schweineproduktion anfallende Gülle auf.
Friedrich Schmoll von der AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) bestätigt diese Aussage und nennt einen zweiten damit verbundenen Vorteil: Große Schweinebetriebe in Deutschland, den Niederlanden oder Dänemark verfüttern das jeweils billigste Getreide, welches in Rotterdam vom Weltmarkt kommend umgeschlagen wird. Damit verbunden sei eine im Vergleich zu Österreich höhere Gefahr der Einschleppung von Keimen durch kontaminierte Futtermittel und eine erhöhte Gesundheitsgefährdung der Schweine.
Gentechnisch verändertes Soja
Soja ist wegen seines hohen Eiweißgehaltes ein wichtiger Futterbestandteil in der Schweinemast. Gentechnisch verändertes Soja aus Übersee ist deutlich billiger als die gentechnikfreie Variante und als Futtermittel zugelassen. Vor allem der großflächige Sojaanbau in Südamerika steht wegen seiner Auswirkungen auf Mensch und Umwelt in der Kritik.
Österreich importiert so viel Soja wie die gesamte österreichische Bevölkerung an Körpergewicht auf die Waage bringt. Ungefähr 450.000 Tonnen Sojaextraktionsschrot, Sojabohnen und -kuchen erreichen jährlich Österreich, mehr als die Hälfte davon wird an Schweine verfüttert. Ein Großteil davon ist gentechnisch verändert. Die so genannte Eiweißlücke (mehr dazu unten) macht Europas Fleischerzeuger von importiertem Soja abhängig. Die Kritikpunkte an der Produktion von gentechnisch verändertem Soja in Südamerika sind bekannt. Umweltschutzorganisationen, allen voran Greenpeace, kritisieren seit der Ankunft der ersten Soja-Schiffe 1996 den hohen Pestizideinsatz, Regenwaldabholzung, großflächige Monokulturen und die Gentechnik an sich. Die Kampagnen haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die Bevölkerung Mitteleuropas auf Gentechnik sensibilisiert ist. In keinem anderen Erdteil gibt es einen derart starken Wunsch nach Gentechnikfreiheit.
> Dilemma zwischen Gentechnikfrei und Konkurrenzfähig
> HINTERGRÜNDE: Grüne Gentechnik
> BLOG: Gentechnik - Müssen wir umdenken?
Die Eiweißlücke: Warum Europa und Österreich Soja importieren
Laut dem Verein Donau Soja werden jährlich über 40 Millionen Tonnen Soja und Sojaschrot an Europas Nutztiere verfüttert. 80 Prozent davon kommen aus Nord- und Südamerika. Dort werden schon allein für den europäischen Bedarf auf 16 Millionen Hektar Sojabohnen angebaut. Das entspricht einer Fläche doppelt so groß wie Österreich und einem Vielfachen der derzeit gut 1,1 Millionen Hektar europäischer Sojaanbaufläche.
Im in den 1990er-Jahren geltenden Blair-House-Agreement war festgelegt, dass die USA große Sojamengen und Europa dafür große Getreidemengen exportieren. Südamerikanische Länder reagierten auf die weltweit steigende Sojanachfrage und begannen den großflächigen Anbau. Soja aus Übersee gibt es bis heute in großen Mengen und niedrigen Preisen. Die Transportkosten spielen keine große Rolle. Daher beziehen Europa und auch Österreich einen Großteil des Soja aus Nord- und Südamerika.
In Österreich wird immer mehr Soja geerntet, im Jahr 2022 waren es 243.000 Tonnen. Dem steht immer noch die fast doppelt so große Menge an importiertem Sojaschrot gegenüber. Etwa die Hälfte des in Österreich geernteten Sojas wird direkt zu Lebensmitteln verarbeitet. Das ist eine internationale Besonderheit.