Die ökologischen Aspekte der heimischen Zuckerproduktion können sowohl bei der Produktion des Rohstoffs Zuckerrübe in der Landwirtschaft als auch bei der Extraktion der Zuckeranteile aus der Rübe in der Zuckerfabrik beleuchtet werden. Besonders wichtig für eine Einschätzung der ökologischen Auswirkungen der Zuckerproduktion erscheint ein vergleichender Blick auf die vom Weltmarkt “angebotene” Alternative Rohrzucker.
Versuch eines Vergleichs der Fußabdrücke von Zuckerrübe und Zuckerrohr
Gernot Bodner, Pflanzenbauexperte an der BOKU, attestiert der Zuckerrübe in Österreich im Videointerview einen in mehrfacher Hinsicht kleineren Fußabdruck im Vergleich zum Zuckerrohr. Einmal falle durch die wesentlich kürzeren Transportwege der CO2-Fußabdruck geringer aus. Ebenso der Wasserfußabdruck, der beim Zuckerrohr ganz andere Dimensionen annehme. Insgesamt geht er davon aus, dass die viel intensivere Nutzung der Ressourcen Boden und Wasser klar zugunsten der Rübenzuckerproduktion spricht, zumindest für die Eigenversorgung in Europa. In puncto Nachhaltigkeit gebe es für das gesamte Management in der Zuckerrohrproduktion ein “lockereres Regelwerk”.
> Unterschiede zwischen Rüben- und Rohrzucker
In dieser Einschätzung trifft er sich mit Ernst Karpfinger, Österreichs oberstem Rübenbauern. Dieser betont ebenfalls die wesentlich nachhaltigere Form des europäischen und damit auch heimischen Zuckerrübenanbaus gegenüber etwa dem Zuckerrohrriesen und Weltmarktführer Brasilien. Karpfinger hat sich die dortigen Produktionsbedingungen vorort angesehen. Zwar gebe es erste Bemühungen auch dort ökologische - neben sozialrechtlichen, den Arbeitnehmerschutz betreffenden - Mindeststandards zu etablieren, aber man hinke den europäischen noch “meilenweit” hinterher. Die bewusste Massenproduktion für den Weltmarkt und die völlig anderen Besitz- und Unternehmensstrukturen erwiesen sich hier als Hemmschuhe. Auch die renommierte ETH Zürich sieht in einer groß angelegten vergleichenden Studie, den (Schweizer) Rübenzuckeranbau und die nachgelagerte Zuckerproduktion gegenüber dem von Rohrzucker in ökologischer Hinsicht überlegen.
Herausforderungen für nachhaltig gesunde Böden
Grundsätzlich sei die Zuckerrübe sehr gut in eine auf Bodenverträglichkeit bedachte Fruchtfolge eingebunden, meint Gernot Bodner, der im Bereich nachhaltiger Pflanzenbau an der BOKU forscht. Die Herausforderungen für nachhaltig gesunde Böden sieht er vor allem in zwei Bereichen. Zum einen ist die Ernte mit ihren schweren Erntemaschinen ein möglicher Problembereich hinsichtlich der Bodenverdichtung. Und zweitens nennt er die “Herbizidfrage” als ein Thema, das über die Zukunft der Zuckerrübe mitbestimmen wird.
Das Ernten der Zuckerrüben fällt in den zusehends feuchter werdenden Herbst und ist überbetrieblich organisiert sowie an die Zeiten für die alljährliche “Zuckerkampagne” der Zuckerfabriken gebunden (Die 120 bis 140 Tage der Verarbeitung werden als “Kampagne” bezeichnet.) Zudem wird heute mit leistungsfähigen, aber schweren Erntemaschinen geerntet. Das heißt die straffe Organisation kann nur sehr bedingt auf kurzfristige ungünstige Witterungsverhältnisse Rücksicht nehmen und das Risiko der Bodenverdichtung müsse mitunter in Kauf genommen werden. Freilich gibt es hierfür eine “Schmerzgrenze”, wie Rübenbauer Robert Mauhart aus der Region Linz Land im Filminterview betont: “Auch wenn ich grundsätzlich einen Erntetermin zugeteilt bekomme, verweigere ich bei sehr schlechten Witterungsbedingungen die Ernte, wobei sich der Spielraum auf wenige Tage beschränkt.”
Keine “nackten Böden” den Winter über als wichtiger Baustein nachhaltiger Bodennutzung
Laut Gernot Bodner von der BOKU Wien ist der Anbau in den vergangenen Jahrzehnten wesentlich nachhaltiger geworden. Riesige Datensätze der AGES belegen etwa eine Stabilisierung bis Erhöhung des Humusgehaltes im Vergleich zum Zeitraum der 1970er- bis 1990er-Jahre, wo ein Humusrückgang im Boden zu verzeichnen war. Insbesondere durch flächendeckende sogenannte Winterbegrünungen, die vor allem der Gefahr der Wasser- und Winderosion und dem damit verbundenen Humusabbau erfolgreich entgegenwirken. Dabei wird der Ackerboden mit verschiedenen Kulturen den Winter über bepflanzt. Diese werden nicht geerntet, sondern dienen der Lockerung des Bodens aufgrund der Durchwurzelung, dem Erosionsschutz in steilen Lagen und verringern Nährstoffverluste. Auch wird dadurch restliches Nitrat im Boden aufgenommen und dessen Verlagerung in tiefere Schichten verhindert. Beinahe 60 Prozent der Anbauflächen für Zuckerrüben werden den Winter über begrünt, was die Voraussetzung für die Saat der Zuckerrübe in den verbleibenden Pflanzenmulch darstellt.Obwohl diese Anbauform einen etwas höheren Herbizid-Einsatz zur Folge hat, sei sie in der ökologischen Gesamtbilanz dem traditionellen Anbau überlegen, der den Boden tiefer lockert, so Bodner. Gerade der Herbizideinsatz und das damit verbundene Reizwort Glyphosat stehen aber seit Jahren im Fokus der Kritik von Umweltorganisationen wie Greenpeace und Global 2000.
> HINTERGRÜNDE: Weg der Nährstoffe
> HINTERGRÜNDE: Chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel
Reizthema Glyphosat
Glyphosat wird im Rübenanbau nur zu einem Zweck und während der gesamten Vegetationsperiode nur einmal angewendet. Das ist zumeist im Zusammenhang mit der sogenannten Winterbegrünung zu sehen. Dabei bringt ein Bauer eine Saatgutmischung aus unterschiedlichen Pflanzen aus. Diese Pflanzen sorgen für eine Verringerung der Nährstoffverluste, lockern den Boden, schützen ihn vor Erosion und dienen den Bienen als Nahrungsquelle. In diese Begrünung sät der Bauer im Frühjahr Zuckerrüben. Weil dabei jedoch auch Unkräuter nachwachsen, bringt er zu diesem Zeitpunkt Glyphosat aus. Sonst würde das Unkraut die kleinen Zuckerrübenpflanzen überwuchern. Die Alternative wäre mechanische Unkrautbekämpfung durch Bodenbearbeitung vor der Aussaat. Rübenbauer Roman Loyer streicht in diesem Zusammenhang die Hauptfunktion von Glyphosat im Rübenanbau heraus. Es sei auf hügeligen Flächen für den Boden- und Erosionsschutz der wichtigste Parameter. “Nur durch Glyphosat ist es möglich, auf die Frühjahrs-Bodenbearbeitung ganz zu verzichten”, so Loyer. Glyphosat vernichtet das Unkraut chemisch. Eine mechanische Unkrautvernichtung, wie sie im Bio-Bereich durchgeführt wird, hat unter anderem jenen Nachteil, dass die oberste Bodenschicht gelockert wird. Bei Starkregen oder Sturm würde der gelockerte und besonders humusreiche Boden zum Teil abgetragen. Gernot Bodner, Pflanzenbauexperte an der BOKU, bestätigt dies im Filminterview und verweist auf Erfahrungen aus den vergangenen Jahren, wo sich die Erosion im Bio-Bereich stärker als Problem gezeigt habe als bei den konventionellen Rübenbauern.
> HINTERGRÜNDE: Glyphosat
> BLOG: Glyphosat in aller Munde, in aller Urin sogar…
Auch Loyers Kollege Lorenz Mayer baut auf Glyphosat als zentralen Baustein, um gegen Erosion vorzubeugen. Wir haben mit Lorenz Mayer während eines Filmdrehs auch über diese Thematik gesprochen, die er in einem ausführlichen Beitrag im Nachrichtenmagazin Profil aus seiner Sicht auf den Punkt bringt: “Das Saatgut kommt mit dem Glyphosat nicht in Kontakt. Es befindet sich zwei Zentimeter tief im Boden. (...) Pflanzenschutzmittel werden wie Medikamente eingesetzt. Also nur dann, wenn es notwendig ist. (...) Ich sehe es bei meinen Nachbarn. Bei Starkregen schwemmt es den fruchtbaren Oberboden von den Feldern und verwüstet Häuser und Keller. (...) Der Boden ist nicht nur meine Lebensgrundlage, sondern die aller Österreicher. Und ich setze alles daran, ihn und die darin lebenden Insekten zu erhalten.”
Glyphosat ist in den vergangenen Jahren in den Fokus der Arbeit von Umweltschutzorganisationen geraten. Dazu beigetragen hat die großflächige Anwendung in Übersee und die Unbeliebtheit des ersten Glyphosat-Erzeugers Monsanto. In den USA und Kanada wird Glyphosat in ständig wachsenden Mengen auf gentechnisch veränderte und dadurch gegen das Herbizid resistente Zuckerrübenkulturen mit dem Flugzeug ausgebracht. Mit dieser Anwendung in riesigen Monokulturen in Übersee hat jene in Österreichs Rübenanbau aber kaum etwas gemeinsam.
Sebastian Theissing-Matei, Landwirtschaftssprecher von Greenpeace, verweist zuallererst auf die mit diesem Herbizid in Zusammenhang gebrachte mögliche Krebsgefahr. Dies sei für Greenpeace eine rote Linie, auch wenn hier in der wissenschaftlichen Einschätzung alles andere als Konsens darüber herrscht. Angesprochen auf die ökologischen Vorteile, welche Praktiker und Forscher wie Gernot Bodner im Zusammenhang mit Glyphosat als Baustein einer Erosionsprophylaxe betonen, meint Theissing-Matei: “Es geht nicht darum Pestizide zu ersetzen, sondern das System zu ändern. Ein Verbot von Pestiziden bedeutet, dass ein Anbausystem geändert werden muss. Da hab ich schon Verständnis für die Landwirte, da, so wie das ökonomische System derzeit aufgebaut ist, das Risiko bei den Landwirtinnen und Landwirten hängen bleibt.” Aus Greenpeace-Sicht ist wünschenswert, dass bei einem ob der vermuteten Krebsgefahr “unabdingbaren” Glyphosat Verbot die Landwirte zusätzliche Förderung erhalten sollen. “Weil es nicht fair ist, wenn die Ökologisierung der Landwirtschaft allein auf dem Rücken der Landwirte passiert. Wir als Gesellschaft müssen dafür sorgen, dass es möglich ist, ohne Glyphosat zu produzieren.”
Ende 2022 hätte dann eine Entscheidung über die weitere Handhabung des Pflanzenschutzmittels getroffen werden sollen, jedoch konnte man sich nicht einigen. Die Kommission hat daher die Zulassung um ein weiteres Jahr verlängert und wartet nun auf die Neubewertung dieses Wirkstoffs durch die Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, die voraussichtlich im Juli bekanntgegeben wird
Vollständige Rohstoffverwertung und Kreislaufdenken in der Zuckerfabrik
Der aufwändig produzierte Rohstoff Zuckerrübe wird in der Zuckerfabrik zu beinahe 100 Prozent verwertet. Neben dem Hauptprodukt kristallisierter Weißzucker fallen eine ganze Reihe von Beiprodukten an, welche unterschiedlichen Zwecken zugeführt werden. Insbesondere die Bereiche Futter- und Düngemittel sind hier von Bedeutung.
Ist der Zucker aus den Rüben herausgelöst, bleibt das Rübenmark übrig. Diese sogenannten Press- bzw. Trockenschnitzel sind ein beliebtes Futtermittel für Rinder und Schweine. Am Ende der Zuckerherstellung bleibt Melasse als unkristallisierbarer Zucker übrig. Melasse wird vor allem in der Hefe- oder Bioethanolproduktion eingesetzt. Kalkmilch bindet in der Zuckerherstellung Nichtzuckerstoffe bei der Trennung von Zucker und Nichtzuckerstoffen. Dabei entsteht Carbokalk, der als Bodendünger wieder zurück auf das Feld gebracht wird.
Herwig Schwihla, zum Drehzeitpunkt Werksleiter der Zuckerfabrik in Tulln fasst zusammen: “Praktisch alles, was in unsere Fabrik kommt, wird einer Nutzung zugeführt. Die an den Rüben anhaftende Erde geht auf die Felder zurück und mitgelieferte Steine werden für den Wegebau verwendet. Auch unser Waschwasser schicken wir nach einer Reinigung wieder in den Kreislauf zurück.”